Rollerfahrer gegen möglichen Vorfahrtsverletzer: Haftungsquote 75 : 25 %

Das LG Aachen (Urteil vom 10.05.2016, Az. 3 S 162/15 als Berufung gegen AG Heinsberg, Az. 18 C 219/15) hatte folgende, häufige Unfallkonstellation zu entscheiden. Der Kläger befuhr mit seinem Roller die bevorrechtigte Straße. Aus seiner Sicht näherte sich rechts ein PKW von der untergeordneten “Stopp”-Straße. Der Kläger behauptete, der PKW sei auf die bevorrechtigte Straße eingebogen; er habe deswegen abgebremst und kam zu Fall. Das Einbiegen konnte er mangels Zeuge/Zusammenstoß nicht beweisen. Der beklagte PKW-Fahrer behauptete, sowohl an der Halte- als auch an der Sichtlinie angehalten zu haben. Er berief sich auf das Zeugnis eines PKW-Insassen.

Das Amtsgericht war noch der Auffassung, dass der PKW nur unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr und damit zu 25 % hafte.

Das LG Aachen “drehte” die Entscheidung und sieht eine überwiegende Haftung des PKW-Fahrers zu 75 %. Der Kläger müsse sich nur seine Betriebsgefahr mit 25 % anrechnen lassen.

 

Update 08.12.16: Die Entscheidung ist inzwischen in der NJW 2016, S. 3669 veröffentlicht.


Hier die beiden Entscheidung des LG Aachen und AG Heinsberg (Download Urteil LG Aachen, Download Urteil AG Heinsberg):

Verkündet am 10.05.2016

3 S 162/15

18 C 219/15
Amtsgericht Heinsberg

Prozessbevollmächtigte:

In dem Rechtsstreit

Klägers und Berufungsklägers,

Rechtsanwälte Busch & Kollegen, Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,
gegen

1.
2. AachenMünchener Versicherung AG, vertr. d. d. Vorstand, AachenMünchener-Platz, 52064 Aachen,

Beklagten und Berufungsbeklagten,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Sina – Maassen, Aachenerund-Münchener-Allee 1, 52074 Aachen,

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen

auf die mündliche Verhandlung vom 19.04.2016

durch den Vizepräsidenten des Landgerichts Dr. Voormann, den Richter am Landgericht Dr. Kurth und die Richterin am Landgericht Michelsen

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Heinsberg vom 25.11.2015 – Az. 18 C 219/15 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 1.281, 11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 06.06.2015 zu zahlen sowie den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 201,71 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen .

Die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz tragen der Kläger zu 27 % und die Beklagten zu 73 %. Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 34 % und die Beklagten zu 66 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Heinsberg vom 25.11.2015 – Az. 18 C 219/15 – Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat eine Vorfahrtsverletzung der Beklagten zu 1) verneint und eine Haftungsquote von 25 % zu Lasten der Beklagten angenommen. Der Kläger verfolgt mit der Berufung seinen erstinstanzlichen Antrag weiter und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Heinsberg vom 25.11.2015 – Az. 18 C 219/15 – abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.286, 10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 06.06.2015 zu zahlen sowie den Kläger von weiteren Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 251,21 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere trist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft.

Die Berufung ist auch teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten Anspruch auf Erstattung von Schadenersatz in Höhe von insgesamt 1.281, 11 € aus §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 823, 249, 253 Abs. 1 BGB.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten für die eingeklagten materiellen Schäden ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG, § 115 VVG. Die Schäden des Klägers sind beim Betrieb des bei der Beklagten zu 2) versicherten Kraftfahrzeugs durch die Beklagte zu 1) entstanden. Wie das Amtsgericht zutreffend dargelegt hat, haben sich vorliegend die Gefahren des Pkw der Beklagten zu 1) beim Unfall zumindest dergestalt ausgewirkt, dass der Kläger zu einer Ausweichreaktion zurechenbar veranlasst wurde.

Aber auch der Kläger haftet grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen. Ein Ausschluss gemäß § 7 Abs. 2 StVO kommt für beide Seiten erkennbar nicht in Betracht. Steht somit die grundsätzliche Haftung beider Seiten fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäߧ§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

Vorliegend war nach diesen Grundsätzen von einer Haftungsquote zu Lasten der Beklagten von 75 % und zu Lasten des Klägers von 25 % auszugehen.

Die Beklagte zu 1) hat gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Danach muss, wer am Verkehr teilnimmt sich so verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder
belästigt wird.

Vorliegend hat die Beklagte zu 1) ihre Rücksichtnahmepflicht verletzt, indem sie angefahren ist, obwohl sich der Kläger auf der bevorrechtigten Straße der Kreuzung näherte. Insbesondere ergibt sich aus der informatorischen Anhörung der Beklagten zu 1 ), dass diese angefahren ist, um in die Kreuzung einzubiegen, da sie ein Blinken des Klägers wahrgenommen habe. Die Beklagte zu 1) erklärte dementsprechend, dass sie ihr Fahrzeug erst in Reaktion auf den Sturz des Klägers angehalten habe.

Die Beklagte zu 1) hat gerade nicht zu erkennen gegeben, dass sie warten werde.

Es konnte von der Beklagten zu 1) auch nicht übersehen werden, dass der Kläger durch ihr Verhalten weder gefährdet noch behindert werde. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht fest, dass der Kläger rechts geblinkt hat. Daher musste die Beklagte zu 1) damit rechnen, dass der Kläger weiterhin auf der bevorrechtigten Straße fährt und das Anfahren der Beklagten zu 1) mit dem Zweck des Einbiegens in die Straße den Kläger zu einem Ausweichmanöver bringen könnte.

Das Anfahren diente auch nicht der besseren Übersicht der Beklagten zu 1) über die Straße, sondern bereits dem Einbiegen. Wie das Amtsgericht – ebenfalls für die Kammer bindend nach§ 529 ZPO, da weder Fehler der Beweisaufnahme noch der Beweiswürdigung vorliegen – festgestellt hat, war die bevorrechtigte Straße für die Beklagte zu 1) von der Position des Stoppschildes aus einsehbar. Von diesem Standort hat die Beklagte zu 1) auch gewartet und mehrere Fahrzeuge passieren lassen. Dann musste, wie das Amtsgericht auch in seinem Urteil zutreffend darlegt, der Kläger bei dem anschließenden Anfahren damit rechnen, dass die Beklagte zu 1) vor dem Auffahren auf die Roermondersstraße nicht nochmals anhalten würde, sondern ihn übersehen hat. Der Umstand, dass die Beklagte zu 1) noch an der Sichtlinie und kurz vor dem Einbiegen zum Stehen gekommen ist, steht vorliegend dem Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nicht entgegen, denn durch das Anfahren hat die Beklagte zu 1) bereits unmittelbar Einfluss auf das Verhalten des Klägers genommen, der mit einem weiteren Einfahren der Beklagten zu 1) rechnen musste. Dass die Beklagte zu 1) noch rechtzeitig stoppen werde, war für den Kläger gerade nicht erkennbar.

Dem Kläger kann demgegenüber keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Insbesondere bestehen beim vorliegenden Sachverhalt auch keine hinreichenden Anzeichen dafür, dass der Kläger unsachgemäß reagiert hat. Da der Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) jedoch nicht derart schwer wiegt, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dahinter vollständig zurücktritt, ist diese mit 25 % zu Lasten des Klägers in Ansatz zu bringen.

Der Schaden beziffert sich damit auf 1.708, 14 €, berechnet aus dem Wiederbeschaffungsaufwand von 1.200 €, den Gutachterkosten von 483, 14 €sowie einer Kostenpauschale von 25 €, statt der beantragten 30 €. Die Erstattung von Ummeldekosten von 50 € hat der Kläger mit seiner Berufung nicht weiter verfolgt. Entsprechend der Haftungsquote von 75 % besteht daher ein Anspruch auf Zahlung von insgesamt 1.281, 11 €.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286 BGB.

Der Kläger hat auch Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201, 71 €, der sich anhand eines Gegenstandswerts von 1281, 11 € entsprechend der berechtigten Schadenersatzforderung berechnet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 1.286, 10 €festgesetzt.

Dr. Voormann Dr. Kurth Michelsen


Verkündet am 25.11.2015

18 C 219/15

Amtsgericht Heinsberg

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit
Klägers,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Busch & Kollegen, Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,

gegen

1. ,

2. die AachenMünchener Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Christoph Schmalenbach, AachenMünchener-Platz, 52064 Aachen,

Beklagten,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Sina – Maassen, Aachener und Münchener Allee 1, 52074 Aachen Fach 50 AC,

hat das Amtsgericht Heinsberg

auf die mündliche Verhandlung vom 04.11.201.5

durch die Richterin am Amtsgericht Lürkens

für Recht erkannt:

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 427,04 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2015 zu zahlen.

Die Beklagten werden verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 83,54 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten zu 25%, der Kläger zu 75%.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung . Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils· zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht mit der Klage Schadensansprüche geltend aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 01.05.2015 in Heinsberg-Karken im Bereich der Kreuzung
Roermonderstraße I Hirtstraße.

Der Kläger ist Eigentümer des Motorrollers Piaggio mit dem Kennzeichen .

Der Kläger befuhr mit seinem Motorroller am 01.05.2015 die Roermonderstraße in Heinsberg-Karken aus Fahrtrichtung „Am Bach” kommend in Fahrtrichtung Niederlande. Die Beklagte zu 1) fuhr mit dem bei der I Beklagten zu 2) haflpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen die Hirtstraße.

Sie beabsichtigte an der Kreuzung Roermonderstraße / Hirtstraße nach links auf die Roermonderstraße in Fahrtrichtung „Am Bach” abzubiegen. Die Hirtstraße ist der Roermonderstraße durch das Verkehrszeichen 206 (Stopschild) untergeordnet. Der Kläger leitete ein Ausweichmanöver nach links ein und kam mit seinem Roller im Kreuzungsbereich zu Fall. Durch diesen Sturz wurde der Kläger verletzt und sein Roller beschädigt. Der von dem Kläger mit der Erstellung. eines Gutachtens beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. bezifferte in seinem Gutachten vom 21.05.2015 den Wiederbeschaffungswert des klägerischen Rollers mit 1.450,00 € sowie den Restwert mit 250,00 €. Der Kläger macht mit der Klage einen Wiederbeschaffungsaufwand von 1.200,00 € zzgl. Sachverständigenkosten von 483,14 € gemäß Rechnung des Sachve~ständigen· Dipl.-Ing. vom 21.05.2015, einer Ummeldekostenpauschale von 50,00 € und . einer Auslagenpauschale von 30,00 € geltend. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.05.2015 forderte der Kläger die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung bis zum 05.06.2015 erfolglos zur Zahlung auf.

Der Kläger behauptet, die Beklagte zu 1) habe ihn übersehen. Sie habe sich mit nicht angepasster Geschwindigkeit dem Einmündungsbereich genähert. Sie sei auf die Fahrbahn der Roermonderstraße aufgefahren, als er sich in Hohe der Querungshilfe befunden habe. Er habe vergeblich versucht, durch ein Hupen auf sich aufmerksam zu machen. Die Beklagte zu 1) sei bis auf die Mitte seiner Fahrbahn auf die Roermonderstraße aufgefahren. Nach seinem Sturz habe die Beklagte zu 1) ihren Pkw zurückgesetzt. Er habe an der Kreuzung geradeaus weiterfahren wollen und sei deshalb nicht mit einem eingeschalteten Blinker auf die Kreuzung Roermonderstraße I Hirtstraße zugefahren. Der Blinkhebel sei möglicherweise bei dem Hupen oder bei
dem anschließenden Sturz des Rollers auf die Seite betätigt worden.

Der Kläger beantragt,

1.) die Beklagten zu ,verurteilen, an den Kläger 1.763,14 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2015 zu zahlen;

2.) die Beklagten zu verurteilen, den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus Heinsberg in Höhe von 334,75 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1) habe ihr Kfz zunächst an der Haltelinie angehalten. Der Motorroller des Klägers habe sich der Kreuzung mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger genähert. Aufgrunddessen sei sie mit dem Pkw bis zur Sichtlinie vorgerollt und habe dort erneut angehalten. Das· Fahrzeug der Beklagten zu 1) habe selbst in seiner Endposition die Fahrbahn der Roermonderstraße nicht erreicht.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.11.2015, BI. 72 ff. d.A.

Die Akte StA Aachen, Az. ist zu Informations- und Beweiszwecken beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 04.11.2015 gemacht worden.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die seitens der Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe

Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

A.
Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 427,04 € aus §§ 7 Abs.1, 17 Abs.1, 2 StVG in Verbindung mit § 115 VVG.

1.
Es ist unstreitig, dass der Kläger am 01.05.2015 mit seinem Roller mit dem amtlichen Kennzeichen gestürzt ist und infolgedessen der Roller des Klägers beschädigt worden ist.

II.

Das Gericht sieht es nach persönlicher Anhörung der Parteien sowie Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin als erwiesen an,
dass dieser Schaden bei dem Betrieb des beklagtenseitigen Pkw entstanden ist.

Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb” ist weit,auszulegen. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das
Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Es kommt maßgeblich darauf an, dass der Unfall in. einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung· des Kraftfahrzeugs steht. Allein die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein rechtfertigt nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb des Fahrzeugs entstanden.

Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat. Die Haftung gemäß § 7 StVG hängt nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, ob es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Danach kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese_ Reaktion ausgelöst hat (BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az. VI ZR 168/04, zit. nach juris, Rn 9-12).

Vorliegend ist es unstreitig nicht zu einer Kollision des klägerischen Rollers und des beklagtenseitigen Pkw gekommen. Die Beklagte zu 1) hat jedoch mit ihrer Fahrweise dazu beigetragen, dass der Kläger sich zu einer Brems- und Ausweichreaktion veranlasst gesehen hat, dabei mit seinem Roller gestürzt und der Roller infolgedess.en beschädigt worden ist: Sowohl die Beklagte zu 1) als auch die Zeugin haben den Unfallhergang in der Weise geschildert, dass die Beklagte zu 1) zunächst an der Haltelinie der Hirtstraße in Höhe des Stopschildes angehalten habe und mehrere Fahrzeuge auf der Roermonderstraße habe passieren lassen. Es habe sich dann der kläg·erische Roller von links genähert. Aufgrund des bei dem Roller eingeschalteten rechten Blinkers sei die Beklagte zu 1) dann mit dem beklagtenseitigen ·Pkw bis zur Sichtlinie vorgefahren. Währenddessen habe der Kläger die Kontrolle über seinen Roller verloren und sei gestürzt. Nach den Angaben der Beklagten. zu 1) und der Zeugin hat der Kläger dementsprechend die Brems- und Ausweichreaktion zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als die Beklagte zu 1) bereits wieder mit dem beklagtenseitigen Pkw angefahren war und sich der Roermonderstraße genähert hat. Beide haben geschildert, dass die Beklagte zu 1) den von ihr gesteuerten Pkw erst in Reaktion auf den Sturz des Klägers angehalten habe und der Kläger die Kontrolle über seinen Roller verloren habe, als der beklagtenseitige Pkw sich der Sichtlinie angenähert habe. Auch bei Zugrundelegung des Beklagtenvortrags ist daher die Brems- und Ausweichbewegung des Klägers in Reaktion darauf erfolgt, dass die Beklagte zu· 1) mit dem beklagtenseitigen Pkw von ihrem vorherigen , Standort an der Haltelinie der untergeordneten Hirtstraße angefahren ist und sich der Fahrbahn der von dem Kläger mit seinem Roller befahrenen Roermonderstraße genähert hat. Für den Kläger ist nicht ersichtlich gewesen, ob die Beklagte zu 1) mit ihrem Pkw yor dem Auffahren auf die Roermonderstraße nochmals anhält. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach dem Sachvortrag der Beklagten zu 1) und der Aussage der Zeugin für die Beklagte zu 1) bereits von ihrem Standort an der Haltelinie der Hirtstraße aus beide Richtungen der Roermonderstraße einsehbar gewesen sind und sie auch von diesem Standort aus Fahrzeuge hat passieren lassen. Bei dieser Sachlage musste der Kläger bei ihrem anschließenden Anfahren erst recht damit rechnen, dass die· Beklagte zu 1) vor dem Auffahren auf die Roermonderstraße nicht nochmals anhalten würde, sondern -ihn übersehen hat. Die Beklagte zu 1) hat daher unabhängig davon, ob sie ihren Pkw an der von ihr so bezeichneten “Sichtlinie” nochmals angehalten hat, durch ihr Fahrverhalten auf der untergeordneten Hirtstraße zu dem Entstehen des klägerischen Sturzes mit seinem Roller beigetragen, so dass der streitgegenständliche Sturz des Klägers sich bei dem Betrieb des beklagtenseitigen Pkw ereignet hat.

Der Verkehrsunfall ist für die Beklagte zu 1) auch nicht unvermeidbar gewesen. Als „Idealfahrerin” hätte sie den Verkehrsunfall vermeiden können, indem sie an der Haltelinie der Hirtstraße gewartet hätte, bis der Kläger mit seinem Roller die Kreuzung Roermonderstraße / Hirtstraße entweder nach rechts abbiegend oder geradeausfahrend verlassen hat.

III.

Nach § 17 Abs.1, 2 StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie dessen Umfang im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

1.)
Vorliegend ist die Hirtstraße unstreitig der Roermonderstraße durch Verkehrszeichen 206 (Stopschild) untergeordnet, so dass ein Vorfahrtsrecht des Klägers bestanden hat.

Wie oben ausgeführt, hat die Beklagte zu 1) sich mit dem beklagtenseitigen Pkw von der Haltelinie der Hirtstraße aus der Fahrbahn der Roermonderstraße angenähert, als der Kläger auf die Kreuzung Roermonderstraße / Hirtstraße zugefahren ist.

2.)
Das Gericht hat jedoch nicht die Überzeugung gewonnen, dass die Beklagte zu 1) mit dem beklagtenseitigen Pkw auf die Fahrbahn der. Roermonderstraße aufgefahren ist. Diesbezüglich haben der Kläger und die Beklagte zu 1) unterschiedliche Angaben gemacht, ohne dass für das Gericht erkennbar geworden ist, von welcher Partei der Unfallhergang insoweit zutreffend geschildert worden ist.

Weder die Beklagte zu 1) noch die Zeugin haben zwar einen anderen Anlass für die Brems- und Ausweichreaktion des Klägers als das Fahrverhalten der
Beklagten zu 1) geschildert. Es ist jedoch nicht zwingend, dass der Kläger erst auf das Auffahren des beklagtenseitigen Pkw auf die Fahrbahn der Roermonderstraße reagiert hat. Es jst ebens·o denkbar, dass er bereits auf das Anfahren des beklagtenseitigen Pkw an der Haltelinie der Hirtstraße reagiert hat, nachdem die Beklagte zu 1) zunächst von dort aus andere Fahrzeuge hat passieren lassen. Entgegen der Behauptung der Klägerseite ist die Roermonderstraße auch bereits von der Haltelinie der Hirtstraße aus nach links einsehbar. Dies ist auf dem Lichtbild BI. 6. d. BA oben links erkennbar. Das Lichtbild BI. 7 d. BA oben recht ist demgegenübervon einem weiter entfernten Standort aufgenommen worden, wie ein Vergleich beider Lichtbilder zeigt.

Die Beklagte zu 1) hat zwar einen Sturz des Rollers auf die. linke Seite bekundet, während dieser ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Schäden an der rechten Seite aufweist. Zudem mag die Angabe der Beklagten zu 1) zu einem Stillstand an der Haltelinie von mehreren Minuten nicht zutreffend sei. Allein diese Aspekte sind jedoch nicht dazu geeignet bzgl. der maßgeblichen Frage eines Auffahrens des beklagtenseitigen Pkw eine dahingehende Überzeugung des Gerichts zu begründen, dass die Beklagte zu 1) insoweit unzutreffende Angaben zum Unfallhergang gemacht hat. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass Zeiträume sehr oft falsch eingeschätzt werden und die Beklagte zu 1) die Seite, auf die der Roller gekippt ist, bedingt durch die hauptsächlich auf den Sturz des Klägers gerichtete Aufmerksamkeit falsch wahrgenommen haben kann. Bewusste Falschangaben der Beklagten zu 1) sind daher für das Gericht nicht erkennbar geworden.

3.)
Das Gericht sieht es nicht als erwiesen an, dass der Kläger bei Annäherung an die Kreuzung Roermonderstraße l Hirtstraße einen Blinker nach rechts gesetzt hat. Die Beklagte zu 1) hat zwar bekundet, dass der rechte Blinker bei dem klägerischen Roller bereits eingeschaltet gewesen sei, als er sich der Querungshilfe genähert und bevor der Kläger die Kontrolle über seinen Roller verloren habe. Demgegenüber hat der Kläger jedoch erklärt, er habe an der Kreuzung weiter geradeaus fahren wollen und dementsprechend einen Blinker bei Annäherung an die Kreuzung nicht eingeschaltet. Die Zeugin hat ebenfalls ausgesagt, dass bei dem klägerischen Roller bereits vor der Brems- und Ausweichreaktion ein Blinker nach rechts eingeschaltet gewesen sei. Das Gericht erachtet ihre diesbezügliche Angabe jedoch nicht für glaubhaft. Das Gericht hat bei der Schilderung des Unfallhergangs
durch die Zeugin den Eindruck gewonnen, dass ihre Aussage durch Angaben ihrer Mutter, der Beklagten zu 1) beeinflusst gewesen ist und nicht nur ihren eigenen Wahrnehmungen entsprochen hat. Dies gilt insbesondere für die Verwendung des übereinstimmenden Begriffs der „Sichtlinie” durch die Beklagte zu 1) und die Zeugin die ihrer Aussage zufolge weder selbst einen Führerschein besitzt noch einen solchen derzeit macht. Die Verwendung des Begriffs „Sichtlinie” ist daher ungewöhnlich. Zudem hat das Gericht Bedenken, dass für die Zeugin von ihrem Standort auf dem Beifahrersitz des an der Haltelinie stehenden beklagtenseitigen Pkw eine Sicht auf den rechten Blinker des klägerischen Rollers bestanden hat. Die Polizeibeamten haben bei der Unfallaufnahme zwar festgestellt, dass zu diesem Zeitpunkt der Blinker des klägerischen Rollers eingeschaltet gewesen ist. Dies kann jedoch auch durch eine Betätigung des entsprechenden Schalters im Rahmen der Brems- und Ausweichreaktion geschehen sein und lässt daher keinen zwingenden RQckschluss auf einen bereits bei Annäherung an die Kreuzung eingeschalteten Blinker zu.

Die Gesamtschau aller feststehenden bzw. unstreitigen Umstände ergibt vorliegend einer Haftungsverteilung von 75% zu 25 % zulasten des Klägers. Es hat zwar seinerseits ein Vorfahrtsrecht bestanden. Das Gericht hat jedoch nicht die Überzeugung gewonnen, dass die Beklagte zu 1) unter Missachtung dieses Vorfahrtsrechts auf die Fahrbahn der Roermonderstraße aufgefahren ist und nicht bereits vor der Sichtlinie wieder zum Stehen gekommen ist. Ein verkehrswidriges Verhalten der Beklagten zu 1) sieht das Gerich! insoweit nicht als erwiesen an.

Dementsprechend ist zulasten der Beklagten zu 1) allein die Betriebsgefahr ihres Pkw zu berücksichtigen, die sich dadurch in dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall realisiert hat, dass die Beklagte zu 1) trotz des sich voh links nähernden klägerischen Rollers an der Haltelinie der Hirtstraße angefahren und auf die Fahrbahn der Roermonderstraße zugefahren ist.

IV.
Dementsprechend besteht vorliegend eine Schadensersatzforderung des Klägers in Höhe von 427,04 €:

Unstreitig beträgt der Wiederbeschaffungsaufwand bzgl. des beschädigten klägerischen Rollers 1.200,00 €. Für die Einholung eines Gutachtens des
Sachveständigen Dipl.-Ing. za_hlte der Kläger unstreitig 483, 14 €. Die . Einholung des Gutachtens ist für den Kläger zUr Bezifferung des unfallbedingten Schadens des Rollers erforderlich gewesen. Die Summe beider Beträge zzgl. einer angemessenen Kostenpauschale von 25,00 € ergibt einen Gesamtschaden des Klägers von 1. 708, 14 €.

Dagegen ist eine “Ummeldekostenpauschale” von 50,00 € durch die Beklagten nicht zu erstatten. Ummeldekosten sind allein in dem Umfang
erstattungsfähig, in dem sie tatsächlich angefallen sind. Dies hat der Kläger nicht vorgetragen.

25% des Gesamtschadens von 1. 708, 14 € entsprechen einem Betrag von 427 ,04 €.

Die Zinsforderung beruht auf§§ 286, 288 BGB.

B.
Zudem hat der Kläger gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 83,54 €.

Dieser Betrag entspricht einer 1,3 Geschäftsgebühr nach einem Streitwert von 427,04 €, entsprechend der berechtigten Schadensersatzforderung des Klägers zzgl. Auslagenpauschale und MwSt.

c.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus§§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

Streitwert: 1.763, 14 €.
Rechtsbehelfsbelehrung:

<…>

Lürkens


(C) Vorschaubild: Lupo  / pixelio.de

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