OLG Frankfurt zum Thema Akteneinsicht und Bedienungsanleitung

Cierniak macht Angst. Ein anderes Fazit ist nicht möglich, wenn man sich die Entscheidungen diverser OLG zum Thema Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung anschaut. Die zutreffenden Ausführungen des BGH-Richters scheinen nicht anzukommen.

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 12.04.2013 (Az. 2 Ss-Owi 173/13) eine von mir geführte Rechtsbeschwerde verworfen. Der Mandant war erstinstanzlich wegen eines mit Provida gefilmten Abstandsverstoßes zu einer Geldbuße nebst Fahrverbot verurteilt worden. Dem Mandanten war auch ein später eingestellter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vorgeworfen worden. Er wurde allerdings auf der linken Fahrspur einer Autobahn von einem Opel auf Handtuchnähe verfolgt; auf der Mittelspur befand sich das Messfahrzeug mit einem Abstand von weniger als 2/10. Der Mandant hatte also gar keine Chance zu bremsen oder nach rechts rüberzukommen. Bei einer Geschwindigkeit von anfangs 170 km/h zog dann ein weiteres Fahrzeug auf die linke Spur (mit 100 km/h und als sich der Mandant bereits im Sicherheitsabstandsbereich genähert hatte). Er musste dann zwangsläufig etwas näher an dieses Fahrzeug heranfahren.

Die Hauptverhandlung war reizend. Auf 14.00 Uhr angesetzt, zog sie sich bis weit in die Abendstunden hinein. Nach jedem Antrag unterbrach die Richterin (ich vermute, um sich mit ihrem Ausbilder abzusprechen) für 45 Minuten. Zwischendurch wurde noch eine Strafsache verhandelt. Ich habe einen Antrag auf vollständige Akteneinsicht bzw. Gewährung rechtlichen Gehörs gestellt, weil mir die Bedienungsanleitung nicht zur Verfügung gestellt wurde. Ich habe das vor allem damit begründet, dass ich die geschulten Beamten nicht vernehmen kann, wenn ich mich nicht zuvor durch die Bedienungsanleitung über die Funktion des Geräts informieren kann bzw. über dessen korrekte Bedienung. Der Antrag wurde abschlägig beschieden.

Vor allem deswegen und wegen des fulminanten Aufsatzes von Cierniak habe ich doch einige Hoffnung in die Rechtsbeschwerde gesetzt. Die Entscheidung des OLG ist aber sehr borniert und ersichtlich von dem Bestreben auch anderer OLG getragen, so etwas bloß nicht zuzusprechen. Das Gericht meint, was nicht in der Akte ist, müsse auch nicht herausgegeben werden. Sei keine Bedienungsanleitung in der Akte, müsse das Gericht auch keine beiziehen. Nur wenn die Bedienungsanleitung Teil der Überzeugungsbildung sei, müsse sie beigezogen werden. Das ist grundfalsch. Denn das Gericht nimmt doch an, dass es sich um eine standardisierte Messung handelt. Dann muss die Messung aber auch den Vorgaben des Herstellers entsprechend erfolgen. Also bereits inzident muss der Richter die Frage prüfen. Außerdem, erfährt der Betroffene, habe sein Verteidiger ja nicht in die Beweiswürdigung des Gerichts einzugreifen. Außerdem dürften keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden, es ginge ja nur um Verwaltungsrecht (offensichtlich hat man dort weniger Grundrechte als im Strafverfahren).

Ohne konkrete, tatsachenbelegte Anhaltspunkte müsse einem abstrakten Antrag nicht nachgegangen werden.

Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz: Wenn mir die Bedienungsanleitung nicht zur Verfügung gestellt wird, kann ich doch gar keine “tatsachenbelegte” Punkte vortragen. Wenn, dann nur “auf’s Blaue hinein” (und das bekommt man dann eben auch so um die Ohren gehauen!).

Es ist bedauerlich, dass Grundrechte wie das auf rechtliches Gehör so mit Füßen getreten werden. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, auch nicht die angebliche Qualität von Bußgeldsachen als “verwaltungsrechtlicher Pflichtenmahnung”. Der Mandant hat jetzt 1 Monat Fahrverbot. Das ist keine Kleinigkeit. Ich glaube auch, dass die Entscheidung davon geprägt ist, bloß nicht von der Linie anderer OLG abzuweichen, um endlich eine Klärung durch den BGH herbeiführen zu können. Hat man denn so viel Angst von Herrn Cierniak ?

Hier die Entscheidung:

2 Ss-OWi 173/13
(998 OWi-
218 -Js.:.nwi 23814/12 —
AG Frankfurt am Main)

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

gegen

Verteidiger: Rechtsanwalt Frese, 52525 Heinsberg

w e g e n Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Senat für Bußgeldsachen –
durch den Einzelrichter am 12. April 2013 gemäߧ§ 46 Abs. 1, 79, 80 a OWiG,
349 Abs. 2, 473 Abs. 1 StPO bes c h l o s s e n:

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des
Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 26. November 2012 wird
verworfen, weil die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf
das Rechtsbeschwerdevorbringen hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Betroffenen ergeben hat.

2. Der Betroffene hat die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten
Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Ausführungen bedarf es nur zu Folgendem:

Der Betroffene rügt über seinen Verteidiger mit der Verfahrensrüge, dass das
Amtsgericht die Bedienungsanleitung des verwendeten standarisierten ·
Messgerätes; mit dem vorliegend der Geschwindigkeitsverstoß des Betroffenen
ermittelt worden war, nicht beigezogen und dem Verteidiger zur Verfügung
gestellt hat.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend in ihrer Stellungnahme ausgeführt
hat, genügt diese Verfahrensrüge nicht den formalen Voraussetzungen des
§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG.

Eine Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO i. V. m. § 79 OWiG ist ebenso wie ein
Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach§ 244 StPO i. V. m. § 77 Abs. 2 Nr. 1
OWiG . nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen
Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil besteht.
Bereits daran fehlt es.

Befindet sich die Bedienungsanleitung eines in Verwendung geraten
standarisierten Messverfahrens bei der Gerichtsakte hat das Tatgericht auf
entsprechendes Akteneinsichtsgesuchs diese dem Verteidiger zur Verfügung
zu stellen. Gleiches gilt für die Unterlagen, die das Tatgericht dem von ihm
·beauftragten Sachverständigen für sein Gutachten zur Verfügung stellt, was
sich bereits daraus ergibt, dass diese Unterlagen Teil der Gerichtsakte sind und
damit von dem umfassenden Akteneinsichtsrecht (§§ 46 Abs.1 OWiG, 147
StPO) erfasst sind (vgl. für die st. Rspr. der OLGs nur KG Berlin Beschluss v .
.07 .01.2013 – 3 Ws (B) 596/12 m.w.N. zit. nach juris).

Anders verhält es sich hingegen, wenn die Bedienungsanleitung des
standarisierten Messverfahrens nicht bei der Gerichtsakte ist. In diesem Fall ist
das Tatgericht grundsätzlich nicht verpflichtet, derartige Unterlagen vom
Hersteller oder der Polizei auf Antrag der Verteidigung beizuziehen. Lehnt das
Tatgericht wie hier einen derartigen pauschalen Antrag auf Beiziehung ab,
begründet dies in der Regel weder einen Verstoß nach § 338-Nr. a ·stPO noch einen
nach § 244 StPO.

Hält der Tatrichter eine Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts für
seine Überzeugungsbildung für notwendig und macht damit seine
Überzeugungsbildung von der Kenntnis des Inhalts dieser Anleitungen
abhän.gig, dann muss er diese ordnungsgemäß als Beweismittel ins Verfahren
einbringen, damit er sie in seiner Beweiswürdigung verwenden kann. Hält der
Tatrichter hingegen die Kenntnisnahme oder Einsicht in die
Bedienungsanleitung für seine Überzeugungsbildung nicht für notwendig, weil
in aller Regel das Beweismittel für den ordnungsgemäßen Aufbau des
konkreten Meßgeräts der Meßbeamte ist der die angegriffene Messung
vorgenommen hat und das Tatgericht seine Überzeugungsbildung alleine auf
dessen Zeugenaussage stützt, muss er die Bedienungsanleitung auch nicht
beiziehen wenn sich aus der Aussage keine begründeten Zweifel ergeben, die
die Beiziehung zu Beweiszwecken notwendig erscheinen läßt.

Entgegen der Ansicht der Verteidigung ergibt sich dies auch nicht daraus, dass
für die Überprüfung des ordnungsgemäßen Aufbaus der Meßstelle durch den
Meßbeamten die Kenntnis der Bedienungsanleitung notwendig ist. Bereits
dieser Ansatz ist in seiner Pauschalität unzutreffend. Der Tatrichter hat nach
dem Gesetz ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem
Gewissen verpflichtet, verantwortlich zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel
überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder
nicht (BGHSt 10, 208, 209; 29, 18, 19). Insoweit darf er seine Befugnis nicht
willkürlich ausüben und muß die Beweise unter Beachtung gesicherter
wissenschaftlicher Erkenntnisse, den Gesetzen der Logik und Erfahrungssätzen
des täglichen Lebens, erschöpfend würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Er ist
allerdings weder verpflichtet in den Urteilsgründen alle als beweiserheblich in
Betracht kommenden Umstände ausdrücklich anzuführen, noch hat er stets im
einzelnen darzulegen, auf welchem Wege und aufgrund welcherTatsachen und
Beweismittel er seine Überzeugung gewonnen hat (BGHSt 39, 291, 296
m.w.N.). Die Schilderung der Beweiswürdigung muß nur so beschaffen sein,
dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung auf Rechtsfehler
ermöglicht. Dabei darf indes nicht aus dem Blick geraten, dass das
-Bußgeldverfahren nicht der Ahndung kriminellen UnrechtS, sondern der
verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung dient. Es ist auf eine Vereinfachung
des Verfahrensganges ausgerichtet. Daher dürfen gerade in Bußgeldsachen an
die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden
(BGHSt 39, 291, 299).

Hat das Tatgericht deswegen nach den Angaben des Meßbeamten keine
Zweifel daran, dass dieser das Meßgerät ordnungsgemäß aufgebaut hat, reicht
diese bloße Feststellung in den Urteilsgründen grundsätzlich aus. Nur wenn
sich tatsachenfundierte begründete Zweifel ergeben, dass der Aufbau der
Meßstelle nicht ordnungsgemäß war und dieser Fehler sich ebenfalls
tatsachenfundiert begründet generell auf die Meßung auswirkt und im konkreten
Fall tatsachenfundiert begründet auch ausgewirkt hat und zwar dergestalt, dass
sich die konkrete Meßung gegenüber dem Betroffenen nicht mehr durch die
technisch eigebauten Toleranzen kompensiert als unverwertbar herausstellt, ist
das Tatgericht verpflichtet dazu nähere Ausführungen zu machen. Tut es das
nicht, besteht die Möglichkeit, dies mit einer zulässigen Verfahrensrüge in der
Rechtsbeschwerde zu rügen.

Abstrakten Anträgen, wie vorliegend, die erst auf die Ermittlung möglicher
Fehler gerichtet sind, ohne dass dafür konkrete tatsachenbelegte Anhaltspunkte
ersichtlich sind, hat der Tatrichter. hingegen nicht nachzugehen. Derartige
einem Beweisantrag vorgelagerte Ermittlungen sind ureigene Aufgabe
desjenigen, der diese Ermittlungen für notwendig hält
Entgegen dem Vortrag der Verteidigung ergibt sich aus den zitierten OLG
Entscheidungen auch nichts anderes. Den genannten Entscheidungen ist mit
den tragenden Ausführungen gemein, dass die Bedienungsanleitungen bereits
Teil der Gerichtsakte waren und aus anderen Gründen nicht an die
Verteidigung herausgegeben worden waren.
Dr. Teßmer
Richter am Oberlandesgericht

Die Entscheidung kann hier heruntergeladen werden.

Update 24.04.2013: Die Entscheidung ist nun in der VRR 2013, S. 230 veröffentlicht und vom Kollegen Burhoff besprochen worden.

2 Kommentare

  1. […] Nachdem wir eine ganze Zeit nur über amts- und landgerichtliche Entscheidungen zur (Akten)Einsicht in die Bedienungsanleitung eines Messverfahrens berichten konnten, scheint die Welle jetzt bei den OLG angekommen zu sein. Das zeigen die vermehrt zu der Problematik ergehenden Entscheidungen, wie die des OLG Naumburg (vgl. hier hier Danke OLG Naumburg – erste OLG-Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Teil 2), die des KG (vgl. hier Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung) und die des OLG Celle (vgl. hier Akteneinsicht a la OLG Celle – Rückschritt in Niedersachen – mag man Cierniak nicht?). Und dann heute der OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.04.2013 – 2 Ss-OWi 173/13, den mir der Kollege Frese aus Heinsberg, der ihn erstritten hat und erleiden muss, zur Verfügung gestellt hat (vgl. zu dem Beschluss auch hier den Blogbeitrag des Kollegen). […]

  2. Also, erst mal Respekt und Anerkennung für Ihre Arbeit. Ich kann mir vorstellen, was das für eine Hauptverhandlung war. Und die Rechtsbeschwerdebegründung war wahrscheinlich auch kein Spaß. M. E. stinkt dieser (Einzelrichter-)Beschluss zum Himmel. Vielleicht denken Sie mal über eine Anhörungsrüge und mit anschließender Verfassungsbeschwerde nach.

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