Erheblichkeit der Pflichtverletzung beim Rücktritt vom Kaufvertrag

Längst sind nicht alle Streitfragen im Kaufrecht nach der Schuldrechtsreform geklärt. Der BGH hat schon die eine oder andere überraschende Entscheidung gefällt. Wohl bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, bis zu welcher Grenze eine unerhebliche Pflichtverletzung bei einem PKW-Kauf vorliegt. Dies hat Bedeutung vor allem für die Frage, ob der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag erklären kann. Der Gedanke der Unverhältnismäßigkeit kommt in diesem Zusammenhang in zwei Vorschriften vor: § 439 Abs. 3 BGB und § 323 Abs. V BGB.

Die Gerichte sind sich nicht einig, ob man zur Beantwortung der Frage schematisch auf ein Verhältnis zwischen Mängelbeseitigungskosten und Kaufpreis abstellen soll. Das OLG Köln stellt sich in seiner Entscheidung vom 12.12.2006 (Az. 3 U 70/06, online abrufbar über www.nrwe.de) leitsatzmäßig auf folgenden Standpunkt:

“Die Beurteilung, ob dem Rücktritt vom Kaufvertrag die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung entgegensteht, erfordert eine umfassende Interessenabwägung. Beim Gebrauchtwagenkauf ist ein entscheidendes Kriterium für die Erheblichkeit, ob und mit welchem Kostenaufwand sich ein Mangel beseitigen lässt.

Ein Nachbesserungsaufwand von 2.500,00 €, entsprechend ca. 5% des PKW-Kaufpreises, für den Austausch eines – trotz zweimaliger Nachbesserung – mangelhaft funktionierenden Navigationssystems ist kein unerheblicher Mangel. Ein Grundsatz, dass in der Regel ein unter 10% liegender Nachbesserungsaufwand unerheblich ist, lässt sich nicht aufstellen (gegen OLG Bamberg, Urteil vom 10.04.2006, DAR 2006, 456).”

Also nach wie vor keine praktikable Lösung in Sicht (“…umfassende Interessenabwägung…”). In einem derzeit beim LG Kiel anhängigen Rechtsstreit geht es um einen VW Bora, der ab und zu Motoraussetzer haben soll. In einem Beweissicherungsverfahren vertrat der Sachverständige die Auffassung, es handele sich um einen konstruktiv bedingten Fehler bei der Benzineinspritzung. Hierdurch entstanden Ablagerungen, die regelmäßig entfernt werden müßten, um ein Auftreten des Problems zu verhindern. Nach vergeblichen Mängelbeseitigungsversuchen erklärte der Käufer den Rücktritt. Der Sachverständige hatte ermittelt, daß der Kostenaufwand für die Beseitigung sich jeweils auf maximal 150-200 € beläuft. Mit meinem Argument, es handele sich um einen geringfügigen Mangel, stieß ich bei der Kammer des Landgerichts auf wenig Verständnis. Immerhin sei die “Fahrzeugsicherheit” betroffen. Ich habe argumentiert, daß eine Kostenübernahme durch den Verkäufer erfolgen könne und das Fahrzeug eh regelmäßig gewartet werden müsse; dann könnten auch die Arbeiten durchgeführt werden. Das “schwerwiegende” Problem hatte den Käufer nicht davon abgehalten, während des 2 Jahre dauernden Verfahrens insgesamt 60.000 km zurückzulegen. Leider konnte sich die Mandantin nicht dazu durchringen, ein paar Instanzen mit der obigen Rechtsfrage zu beschäftigen, so daß ein Vergleich geschlossen wurde. Auch der Verkäufer des obigen Falles scheint keinen Mut gehabt zu haben, die Frage höchstrichterlich klären zu lassen. Schade eigentlich.

Update vom 08.06.07: Das Landgericht Aachen hat in einem Berufungsurteil eine ähnliche Auffassung vertreten; das Urteil liegt mir nur in den Leitsätzen wie folgt vor:

LG Aachen – AG Aachen
29.06.2006
6 S 19/06

Im Rahmen der nach § 439 Abs. 3 BGB vorzunehmenden Abwägung ist ausschlaggebend, welchen Wert die Kaufsache in einem mangelfreien Zustand für den Käufer hätte, welche Bedeutung der vorhandene Mangel hat und die Frage, ob ohne erhebliche Nachteile für den Käufer auf die andere – nicht von diesem gewählte – Art der Nacherfüllung zurückgegriffen werden kann.

Unerheblich bei der Abwägung ist das Verhältnis der Kosten der gewählten Art der Nacherfüllung zum vereinbarten Kaufpreis. Im Zweifel gebührt dem aus § 439 Abs. 1 BGB folgenden Wahlrecht des Käufers der Vorrang.

Update vom 22.06.07: Die hiesigen Gerichte scheinen sich auf diese Linie festzulegen. Ähnlich entschied nunmehr das OLG Düsseldorf (Urteil vom 30.04.2007, Az. I-1 U 252/06):

“Die Mängelbeseitigungskosten sind ein grundsätzlich taugliches Kriterium, um das Merkmal der Unerheblichkeit einer Pflichtverletzung beim Gebrauchtwagenkauf zu konkretisieren. Vielfach werden dabei der Aufwand und die Kosten der Mängelbeseitigung in ein Verhältnis zum Kaufpreis gesetzt. Die Höhe der Mängelbeseitigungskosten kann aber lediglich nur einer von mehreren Gesichtspunkten der Erheblichkeitsprüfung sein. Jede schematische Beurteilung nach Prozentsätzen verbietet sich. Es ist vor allem auf das objektive Ausmaß der Qualitätsabweichung abzustellen. “

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