In einer interessanten Entscheidung nimmt der BayVGH (Beschluß vom 22.02.2007, Az. 11 CS 06.1644, gefunden in zfS 2007, Heft 6, S. 354 ff.) Stellung zur Anwendbarkeit und zu diversen Streitpunkten, die im Zusammenhang mit dem Erlaß der sog. 3. Führerscheinrichtlinie entstanden sind. Der BayVGH weicht damit von der hier zitierten Auffassung erheblich ab.
In dem zu entscheidenden Fall war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen und die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden. Im Jahre 1992 war diesem wegen einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis entzogen worden. Im Jahre 2003 wurde der Antragsteller erneut beim Führen eines Fahrrads mit einer Alkoholkonzentration von 2,13 Promille auffällig. Mitte 2005 wurde ihm in Tschechien eine Fahrerlaubnis der Klasse B ausgestellt. Die Antragsgegnerin forderte vom Antragsteller eine MPU. Dieser kam der Aufforderung “aus rein praktischen Erwägungen” nach, obwohl er die Anordnung für rechtswidrig hielt; die MPU fiel nicht positiv aus. Daraufhin ordnete die Antragsgegnerin an, den Führerschein zwecks Vermerk der Einziehung vorzulegen. Das Widerspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Der BayVGH hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers entgegen dem erstinstanzlichen Gericht mit einer Auflage (Teilnahme an einem Lehrgang gem. § 70 FeV) angeordnet.
Mit der freiwilligen Teilnahme an der MPU hatte der Antragsteller zwar “einen Bock geschossen”. Der BayVGH ist der Auffassung, daß die Anordnung rechtswidrig war. Hätte die Antragsgegnerin im Fall der Nichtbeibringung die Fahrerlaubnis entzogen, hätte dies einer gerichtlichen Überprüfung nach den inzwischen entwickelten Grundsätzen, insbesondere unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen EuGH-Entscheidungen, nicht standgehalten. Gleichwohl hielt das Gericht die Ergebnisse der MPU für verwertbar. Insoweit ist es auch völlig unstreitig, daß sog. “Neutatsachen” (d.h. die erneute Auffälligkeit in Deutschland nach Erteilung der ausländischen FE) die Behörden berechtigen, die Fahreignung überprüfen zu lassen.
Es konnte aber im Rahmen der summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden, ob die Einziehung der Fahrerlaubnis unter Berücksichtigung der inzwischen in Kraft getretenen 3. FS-Richtlinie rechtens war. Wegen der vielen rechtlichen Zweifelsfragen, ob, wann und wie diese Richtlinie anzuwenden ist, wurde die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt. Trotz der Alkoholauffälligkeit aus dem Jahre 2003 überwiege das Interesse des Antragstellers. In aller Regel geht diese Abwägung zu Lasten des Führerscheininhabers aus, da die Straßenverkehrsbehörden das Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Straßenverkehr höher bewerten als das Individualinteresse des Führerscheininhabers, am Straßenverkehr teilzunehmen.
Der BayVGH vertritt im Rahmen der Entscheidung die Aufassung, daß die Vorschrift des Art. 11 Abs. 4 S. 2 der Richtlinie 2006/126/EG erst zum 19.01.2009 in Kraft trete (über diese Frage herrscht große Unklarheit; laut Mitteilung der Schriftleitung der zfS hat das VG Düsseldorf angenommen, daß die Norm am 19.01.2007 in Kraft getreten ist).
Nicht verkneifen konnte sich der BayVGH einen “Seitenhieb” in Richtung der europäischen Gesetzgeber. Diese hätten, um “den mißbräuchlichen Erwerb einer Fahrerlaubnis zu bekämpfen”, nunmehr ausdrückliche Regelungen zu erlassen. Dies wäre “unnötig gewesen, hätte in Gestalt der Rechtsfigur der mißbräuchlichen und damit unzulässigen Berufung auf Gemeinschaftsrecht bereits bisher ein ausreichendes Instrument zur Verfügung gestanden, um derartige Verhaltensweisen zu unterbinden”. Nach Erlaß der 3. FS-Richtlinie könne in Richtung eines Mißbrauchs nicht mehr argumentiert werden, denn der europäische Gesetzgeber habe die Richtlinie in klarer Kenntnis des sog. “Führerscheintourismus” erlassen.
Sicherlich kann man den Wunsch nach einer ausdrücklichen – besser: eindeutigen – Regelung nachvollziehen. Diese ist auch für die praktische Rechtsanwendung dringend notwendig. Jeder Inhaber einer Fahrerlaubnis, die vor dem 19.01.2007 in Form des “Führerscheintourismus” erworben wurde, muß nach wie vor mit einer unklaren Rechtslage leben und befürchten, daß sich die Behörden nicht an die Vorgaben des BayVGH halten und die Fahrerlaubnis entziehen. Solange einer klare und eindeutige Stellungnahme des EuGH zu diesem Thema fehlt, sieht man sich ggf. einem jahrelangen Rechtsstreit gegenüber.