Der BGH (BGH, Urteil vom 16.10.2007 – VI ZR 42/07) hatte erneut Gelegenheit, sich mit der Vorschrift des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB zu befassen. Nach dieser Vorschrift ist ein Minderjähriger zwischen Vollendung des siebten und zehnten Lebensjahres für einen Schaden nicht verantwortlich, den er einem anderen bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug zufügt.
Grundlegend hat der BGH in seinem Urteil vom 21.12.2004 (Az. VI ZR 276/03) zu dieser Vorschrift Stellung bezogen. Die Vorschrift sei teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass von dieser Vorschrift lediglich sog. “Überforderungsfälle” erfaßt seien, also sich für das Kind die typische Überforderungssituation im Straßenverkehr realisiert haben muß. Dies sei nicht der Fall, wenn jemand “aus Unaufmerksamkeit” mit einem Fahrrad oder Kickboard gegen ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug stoße. Eine Überforderungssituation wurde aber angenommen für den Fall, dass ein fahrradfahrendes Kind im Straßenverkehr gegen ein haltendes Fahrzeug stieß.
In dem jüngst entschiedenen Fall soll das minderjährige Kind als Teil einer Gruppe auf dem Fußgängerweg sein Fahrrad abgestoßen haben, so dass dieses führerlos zunächst über den Bürgersteig rollte, anschließend auf die Straße und dort ein fahrendes Fahrzeug beschädigte. Der PKW-Fahrer wurde mit seiner Klage in allen Instanzen abgewiesen. Das Verhalten des Kindes entspreche einer Gruppendynamik und dem Erprobungsdrang eines Minderjährigen, die der Gesetzgeber als Veranlassung für die Haftungsbegrenzung angesehen habe. Das Kind sei damit überfordert gewesen, die Geschwindigkeit und den Abstand des anderen Fahrzeugs abzuschätzen. Es habe aus Überforderung nicht einkalkuliert, dass das Fahrrad auf die Straße geraten und dort mit dem KFZ zusammenstoßen könne. Ob sich dies konkret ausgewirkt habe, sei unerheblich. Der Gesetzgeber habe die Altersgrenze “generell” heraufsetzen wollen.
Nach meiner Auffassung hätte man das im konkreten Fall auch durchaus anders sehen können. Die vom BGH postulierte “klare Grenzziehung” gelingt mit dieser Entscheidung nicht. In der Entscheidung vom 21.12.2004 hatte es der BGH mangels gesetzgeberischen Willens noch abgelehnt, als Abgrenzungskriterium zwischen fließendem und ruhendem Verkehr zu unterscheiden. Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die Versicherungswirtschaft jetzt erst recht versuchen wird, jeden Schadensfall mit einem Minderjährigen in diesem Alter als “verkehrstypische Überforderung” auszulegen. So dürfte es dem Zufall entsprechen, dass sich der Sachverhalt in der Nähe eines fahrenden Fahrzeugs abgespielt hat. Auch bei Fällen mit parkenden Fahrzeugen, bei denen der BGH die Haftungsprivilegierung nicht angewendet hat, kann sich eine verkehrstypische Überforderungssituation aufgrund von “Gruppenzwang” und “Erkundungsdrang” realisieren. Wenn man Minderjährigenschutz praktizieren möchte, dann bitte ganz oder gar nicht…..