AG Heinsberg: Haftungsquote 2/3 : 1/3 bei Türöffnen und Geschwindigkeitsverstoß

Mit Urteil vom 23.09.2009 (nicht rechtskräftig, Az. 14 C 211/08) hat das AG Heinsberg einer Klage auf Schadensersatz einer GmbH weitgehend stattgegeben. Der Geschäftsführer der Klägerin soll die Tür des KFZ entgegen § 14 StVO unvorsichtig geöffnet haben, so dass es zu einem Zusammenstoß mit einem sich von hinten nähernden, vorbeifahrenden KFZ kam. Dieses hielt zwar einen Seitenabstand von 1,1 m an, soll aber mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h gefahren sein. Nach Ansicht des AG Heinsberg war dies zu schnell, da sich die Unfallstelle in einer verkehrsberuhigten Zone befindet und dort nur mit einer Schrittgeschwindigkeit von 5-6 km/h hätte gefahren werden dürfen. Das kostete die Beklagten den Unabwendbarkeitsnachweis mit der Folge, dass das Gericht eine Haftungsabwägung vornahm. Es kam zu einem überwiegenden Verursachungsbeitrag der Klägerin, den das Gericht mit 2/3 wertete.

Die Klage hatte gleichwohl überwiegend Erfolg, da die Klägerin ihre Kaskoversicherung in Anspruch genommen und mit der Klage nur unter Anwendung des sog. Quotenvorrechts die restlichen Ansprüche ersetzt verlangte. Durch das Quotenvorrecht konnte die Klägerin die quotenbevorrechtigten Ansprüche (hier: restliche Reparaturkosten, Wertminderung) voll ersetzt verlangen; nur hinsichtlich der nicht quotenbevorrechtigten Ansprüche (Nutzungsausfall, Pauschale) wurde die Quote von 1/3 zugrundegelegt.

Interessant ist die Entscheidung auch deswegen, weil für das Fahrzeug der Klägerin – einer GmbH – Nutzungsausfall zugesprochen wurde. Das Amtsgericht war meiner Argumentation gefolgt, dass eine spürbare Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des PKW (Mercedes Benz 350 SL) vorlag, da es sich um das Geschäftsführerfahrzeug handelte, welches auch für Privatfahrten verwendet wird.

Das Urteil kann nachfolgend im Volltext gelesen oder hier heruntergeladen werden.

14 C 211/08
Verkündet am 23.09.2009

Amtsgericht Heinsberg

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

der GmbH, vertr.d.d. GF. Heinsberg,

Rechtsanwälte Busch & Kollegen,
Schafhausener Straße 38,52525 Heinsberg,

1. Frau
2. die A-Versicherung, Frankfurt,

Rechtsanwälte Dr. Sina & Kollegen, Aachenerund
Münchener Allee 1, 52074 Aachen Fach AC 050,

hat das Amtsgericht Heinsberg

im schriftlichen Verfahren am 23.09.2009

durch die Richterin am Landgericht Köppen für Recht erkannt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1061,67 € nebst
5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9.10.2008 zu zahlen sowie die Klägerin
von Rechtsanwaltsgebührenansprüchen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen,
Heinsberg, in Höhe von 130,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 9.10.2008 freizustellen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 27 % und den Beklagten als
Gesamtschuldnern zu 73 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am
01.08.2008 in Heinsberg in der Hochstraße ereignete. Die Hochstraße ist in diesem
Abschnitt verkehrsberuhigter Bereich, es darf nur Schrittgeschwindigkeit gefahren
werden. Der Geschäftsführer der Klägerin hatte den Pkw der Klägerin, einen
Mercedes-Benz, Typ SL 350, einen sogenannten zweitürigen Roadster, in Höhe des
Hauses Nr. 7 auf dem rechten Seitenstreifen der Einbahnstraße geparkt und wollte
aussteigen. Dazu öffnete er die Fahrertür. Zur gleichen Zeit befuhr die Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten versicherten VW Passat die Hochstraße. Die Fahrzeuge
stießen zusammen und zwar die Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs und der
Kotflügel des Passat. Die Klägerin hat den Mercedes reparieren lassen und sodann
ihre Vol/kaskoversicherung mit einer Selbstbesteiligung von 300,- € in Anspruch
genommen. Die Wertminderung des klägerischen Pkw beträgt 450,- €. Diesbezüglich
verlangt sie vollen Schadensersatz von den Beklagten. Hinsichtlich einer
Nutzungsausfallentschädigung von 10 Tagen a 91,- € und einer Unkostenpauschale
von 30,- € lässt sie sich 25 % Betriebsgefahr anrechnen und verlangt von den
Beklagten deshalb 705,- €. Der Pkw der Klägerin stellt das einzige
Geschäftsführerfahrzeug dieser Art der Firma dar und wird für Kundenbesuche und
auch für Privatfahrten genutzt.

Die Klägerin trägt vor, ihr Geschäftsführer habe die Fahrertür vorsichtig geöffnet. Die Erstbeklagte sei unter Verletzung von Seitenabstand und Geschwindigkeitsbegrenzung gegen die geöffnete Tür gefahren. Sie hätte jedoch durch rechtzeitiges Abbremsen und ausreichenden Abstand zum parkenden Klägerfahrzeug den Unfall vermeiden können. Den Geschäftsführer der Klägerin treffe kein Verschulden. Sie könne auch Nutzungsentschädigung geltend machen, es handele sich um ein
GeschäftsführerfahrzeuQ, welches auch aus repräsentativen Gründen gefahren werde .

Sie beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1455,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 9.10.2008 zu zahlen.

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von
Rechtsanwaltsgebührenansprüchen der Rechtsanwälte Busch und Kollegen in Höhe
von netto 156,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz der EZB seit dem 9.10.2008 freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, die Erstbeklagte sei mit ausreichendem Seitenabstand von 1 mund
innerhalb der zulässigen Geschwindigkeit an dem Fahrzeug der Klägerin
vorbeigefahren, als urplötzlich der Geschäftsführer der Klägerin die Tür geöffnet habe und mit dieser gegen den vorderen rechten Kotflügel des Passat gestoßen sei. Der
Geschäftsführer habe sich nicht ausreichend nach hinten vergewissert, bevor er die Tür geöffnet habe und habe deshalb gegen § 14 StVO verstoßen. Hierfür spreche schon
der Beweis des ersten Anscheins. Wegen der gewerblichen Nutzung des Pkw scheide
eine Nutzungsausfallentschädigung aus.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß
Beweisbeschluss vom 9.02.2009, Blatt 60 der Akte, durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das
Gutachten des Sachverständigen Dr. Potuschnik, Blatt 73 ff. GA, verwiesen ..

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 1061,67 € gegenüber den Beklagten
aus den §§ 7, 18 StVG, 3 PfIVG.
Da beide Parteien nicht nachgewiesen haben, dass der Unfall durch höhere Gewalt (§ 7
Abs. 2 StVG) oder ein unabwendbares Ereignis (§ 17 Abs. 3 StVG) verursacht worden
ist, hängt der Umfang der Haftung von dem Ergebnis der nach § 17 Abs. 1 StVG
vorzunehmenden Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge ab. Hierbei
dürfen zu Lasten einer Partei nur unstreitige oder bewiesene Tatsachen berücksichtigt
werden.

Danach haftet die Klägerin für das Unfallgeschehen. Denn der Beweis des ersten
Anscheins spricht dafür, dass der Geschäftsführer der Klägerin beim Aussteigen aus
dem Mercedes-Benz gegen § 14 StVO verstoßen hat (vgl. auch KG Berlin NZV 2008,
245 ff). Danach muss, wer die linke Wagentür öffnen will, nach hinten den
rückwärtigen Verkehr beobachten. Das Gesetz schreibt höchste Sorgfalt vor, so dass
die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Da es in
unmittelbarem Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür zu dem Verkehrsunfall
gekommen ist, ist davon auszugehen, dass diese Handlung ursächlich war. Diesen
Anscheinsbeweis hat die Klägerin auch nicht durch das eingeholte Gutachten des
Sachverständigen Potuschnik entkräften können. Denn der Sachverständige hat keine
Fe’ststellungen zum zeitlichen Zusammenhang zwischen Öffnen der Tür und der
Kollsion treffen können.

Aber auch die Beklagten haften für das Unfallgeschehen. Zwar hat die Erstbeklagte den
erforderlichen Seitenabstand mit 1,1 m eingehalten, wie der Sachverständige
nachvollziehbar und überzeugend festgestellt hat. Die Erstbeklagte hat jedoch gegen §
3 StVO verstoßen, weil sie in einem verkehrsberuhigten Bereich, in dem
Schrittgeschwindigkeit zu fahren ist, mit 10 km/h unterwegs war. Hierzu wird auf das
schlüssige Sachverständigengutachten Bezug genommen. 10 km/h stellen keine
Schrittgeschwindigkeit dar, diese liegt bei ca. 5 – 6 km/ho Die Erstbeklagte fuhr damit nahezu doppelt so schnell wie erlaubt. Ob die Erstbeklagte den Unfall bei einer
Geschwindigkeit von 5 -6 km/h hätte vermeiden können, konnte der Sachverständige
nicht feststellen. Allerdings wäre der Unfall dann mit geringeren Schäden behaftet
gewesen, so dass die Geschwindigkeitsüberschreitung jedenfalls zum Unfall und den
Schäden an den Fahrzeugen beigetragen hat.

Die Abwägung ergibt, dass beide Seiten für den Unfall einzustehen haben. Während die
Klägerin das unfallursächliche Verschulden, nämlich den Verstoß des Geschäftsführers
gegen § 14 StVO trifft, haften die Beklagten für die Geschwindigkeitsüberschreitung der Erstbeklagten. Bei Beurteilung der Verschuldensbeiträge überwiegt der auf Seiten der Klägerin. Denn die Erstbeklagte ist mit ausreichendem Seitenabstand an dem Pkw
vorbeigefahren und ihre Geschwindigkeit war, wenn auch verkehrsrechtlich überhöht,
dennoch gering. Demgegenüber hat der Geschäftsführer der Klägerin seine
gesteigerten Sorgfaltspflichten in erheblichem Maße verletzt. Er hätte die herannahende Erstbeklagte wahrnehmen können und seinen Aussteigevorgang zurückstellen müssen.

Dass er dies nicht getan hat, zeigt die Breite, auf der die Tür geöffnet worden ist. Dass die Tür schon länger offen gestanden hätte, bevor es zum Unfall kam, hat die Klägerin gerade nicht vorgetragen. Das Gericht hält es unter Berücksichtigung aller Umstände deshalb für angemessen, die Haftung nach einer Quote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Klägerin vorzunehmen.

Die Klägerin kann folglich 1/3 der ihr entstandenen Kosten von den Beklagten ersetzt.
verlangen. An Kosten kann sie ansetzen 450,- € Wertminderung, 300,- €

Selbstbeteiligung, 25,- € Unkostenpauschale und auch 910, -€ an
Nutzungsentschädigung für das Geschäftsführerfahrzeug. Entgegen der Ansicht der
Beklagten ist eine Abrechnung trotz gewerblicher Nutzung des Pkw möglich. Dass es
sich um das einzige Geschäftsführerfahrzeug der Klagerin handelte,das zudem auch
privat genutzt wurde, ist unstreitig geblieben. Auch ist unstreitig, dass es zu
Kundenbesuchen eingesetzt wird. Eine fühlbare Beeinträchtigung durch den
Vekehrsunfalliiegt damit vor, da ohne weiteres davon auszugehen ist, dass die Klägerin
keinen entsprechenden Wagen vorrätig hatte, dennoch der Geschäftsführer aber
Kunden aufzusuchen und Geschäfts-wie Privatfahrten durchzuführen hatte (vgl. auch
OLG Stuttgart NJW 2007, 1696 ff).

In die Haftungsquote fallen jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(NJW 1982, 827 ff. ) nur die Kostenpauschale und die Nutzungentschädigung, so dass
diesbezüglich ein Betrag von 311,67 € zu ersetzen ist. Die Selbstbeteiligung und die
Wertminderung des Pkw sind nach dem Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers
wegen der Haftung der Beklagten voll zu ersetzen. Der Klägerin ist nämlich ein
Gesamtschaden am Pkw von 3804,80 € sowie eine Wertminderung von 450,- €, mithin
ein Schaden von 4254;80 € entstanden, von dem die Beklagten hätten 1418,26 €
ersetzen müssen. Durch die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung hat die
Klägerin nur noch einen Schaden von 300,- € Selbstbeteiligung und 450,- €
Wertminderung, mithin 750,- €, den die Beklagten zu tragen haben. Der Klägerin steht
also insgesamt ein Betrag von 1061,67 € zu.

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus den §§ 286, 288 BGB.

Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten kann die Klägerin nach einem
Streitwert von 1061,67 € in Höhe von 130,50€ verlangen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs .1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr.
11,711 ZPO.

Köppen

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