Beitrag vom 03.10.2010:
Das AG Heinsberg hat mit Urteil vom 05.02.2010, Az. 18 C 547/09, interessante Ausführungen zur Haftung eines PKW-Fahrers gemacht, der einen Stein mit seinem Fahrzeug hochschleudert und die Windschutzscheibe eines anderen Fahrzeugs beschädigt. Interessant deswegen, weil noch häufig der Irrglaube vorherrscht, das Hochschleudern eines Steins sei immer ein unabwendbares Ereignis. Hierbei wird regelmäßig übersehen, dass es bei der Beteiligung von 2 Kraftfahrzeugen nur darauf ankommt, ob es sich um höhere Gewalt handelt – die praktisch nie vorliegt.
Zum Sachverhalt:
Der Kläger ist Eigentümer eines PKW. Mit der Klage macht er Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am XX.XX.2009 gegen ca. 11.20 Uhr am Ausbauende einer Bundesstrasse in 52525 Heinsberg ereignete. Das Fahrzeug des Klägers wurde zum Unfallzeitpunkt durch seinen Sohn G gefahren. Dieser befand sich in Begleitung seiner Ehefrau T. Der Fahrer des gegnerischen Fahrzeugs ist aus noch zu schildernden Gründen unbekannt geblieben.
Der Zeuge B befuhr die B in Fahrtrichtung Heinsberg und näherte sich dem Ausbauende. Die Straße wird sodann nach einer Kurve auf die K-Str. geführt. Aufgrund des Ausbauendes wird die Geschwindigkeit trichterförmig auf 70 und dann auf 50 km/h begrenzt. Es besteht ein Überholverbot. Der unbekannt gebliebene Fahrer der VN der Beklagten überholte den mit der zulässigen Geschwindigkeit fahrenden Zeugen B mit überhöhter Geschwindigkeit in diesem Bereich und schleuderte hierbei einen Stein auf, der in die Windschutzscheibe des klägerischen Fahrzeugs schlug und diese beschädigte. Dem Zeugen B gelang es, den überholenden Fahrer an der nächsten Ampel auf den Unfall aufmerksam zu machen. Dieser versprach, nach dem Abbiegen anzuhalten. Der Zeuge B konnte zunächst nicht folgen, weil die Ampel für ihn wieder auf “rot” umschlug. Dies nutzte der unbekannte Fahrer, sich unerlaubt vom Unfallort zu entfernen. Die örtliche Polizei hatte sich geweigert, eine Anzeige wegen Verstoßes gegen § 142 StGB aufzunehmen.
In rechtlicher Hinsicht hatten wir ausgeführt:
Die Beklagte haftet aus § 7 StVG. Es handelt sich nicht um höhere Gewalt, so dass sich die Beklagte nicht wie geschehenauf ein unabwendbares Ereignis berufen kann. Im übrigen besteht auch eine verschuldensabhängige Haftung aufgrund des verkehrswidrigen Überholens und zu-schnell-Fahrens. Gerade hierdurch wurde erst die Gefahr geschaffen, dass die vornehmlich am Ausbauende einer Straße liegenden Steine/Verunreinigungen auf andere Fahrzeuge geschleudert werden. Keinesfalls war der Unfall für den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs unvermeidbar.
Die gegnerische Versicherung hatte sich nur pauschal damit verteidigt, das Geschehen zu bestreiten und eine Haftung in rechtlicher Hinsicht unter Verweis auf den Normzweck abzulehnen.
Das hat das AG Heinsberg überhaupt nicht überzeugt. Nachfolgend der Volltext:
Amtsgericht Heinsberg
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Busch & Kollegen, Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,
Klägers,
gegen
die Provinzial Rheinland Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand dieser vertreten durch den Vorsitzenden Ulrich Jansen, Provinzialplatz 1, 40591 Düsseldorf,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Sina & Kollegen, Aachener-
und Münchener Allee 1, 52074 Aachen Fach AC050,
hat das Amtsgericht Heinsberg
im vereinfachten Verfahren nach der Sachlage vom 05.02.2010 durch den Richter am Amtsgericht Dr. Heinemann
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 523,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 28.11.2009 zu zahlen.
Die Beklagtes wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 28.11.2009 freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand gem. § 313 a I ZPO
Gründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ergibt sich aus §§ 7 StVG, 115 VVG.
Soweit die Beklagte einen durch das bei ihr versicherte Fahrzeug hervorgerufenen Steinschlag bestreitet, ist dies unerheblich. Mit dem einfachen Bestreiten genügt die Beklagte nicht den ihr obliegenden prozessualen Darlegungsanforderungen Die Beklagte hat weder dargetan, wer das Fahrzeug zum behaupteten Unfallzeitpunkt gesteuert hat, noch wie sich der Fahrer in der Unfallsituation verhalten hat Zu dem unmittelbar danach geführten Gespräch zwischen den beiden Fahrern nimmt die Beklagte überhaupt nicht Stellung. Aus der Klageerwiderung geht in keiner Weise hervor, ob sich das Fahrzeug überhaupt zum fraglichen Unfallzeitpunkt an der Unfallstelle oder an einem anderen Ort befunden hat.
Die sich hiernach ergebende Halterhaftung gem. § 7 StVG ist verschuldensunabhängig. Höhere Gewalt iSd. § 7 II StVG lag nicht vor. Da es auch einem Idealfahrer nicht möglich ist, einem heranfliegenden Stein auszuweichen, lag auf Klägerseite ein unabwendbares Ereignis vor, das die eigene Betriebsgefahr zurücktreten lässt.
Die Nebenforderungen folgen aus Verzugsgesichtspunkten, §§ 280, 286, 288 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713
Streitwert: 523,26 Euro.
Update 03.05.2010:
Der hier vertretenen Auffassung hat sich auch das AG Böblingen mit Urteil vom 15.04.2010, Az. 19 C 265/10 angeschlossen:
Update 02.11.2011:
Nach einer Mitteilung von juris hat sich das LG Heidelberg in ähnlicher Form geäußert:
- “Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Gefährdungshaftung nach § 7 Absatz 1 StVG sind erfüllt, wenn ein Stein nachweislich infolge der Fahrt des vorausfahrenden Kraftfahrzeugs in Bewegung gesetzt wurde und dieser sodann beim Auftreffen die Frontscheibe des nachfolgenden Fahrzeugs beschädigt hat. In diesem Fall obliegt dem durch den Steinschlag Geschädigten nicht zusätzlich die Darlegung und der Beweis der “genauen Art und Weise der Schadensverursachung.
- Die Frage, ob der Stein von den Rädern des vorausfahrenden Fahrzeugs aufgewirbelt wurde oder von seiner unzureichend gesicherten Ladefläche herabgefallen ist, ist vielmehr nur für die Frage eines Haftungsausschlusses nach § 17 Absatz 2, 3 StVG(unabwendbares Ereignis) relevant. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der Halter des vorausfahrenden Fahrzeugs.”LG Heidelberg, Urteil vom 21.10. 2011, Az. 5 S 301/11
Da fällt mir folgender Sachverhalt ein. Ein Fahrzeug erleidet einen Wildunfall. Das Wild schleudert nach der Kollision gegen ein entgegenkommendes Fahrzeug. Hatte sich hier die Versicherung zurecht geweigert, den Schaden am entgegenkommenden zu regulieren?
Steinschlagschäden zwischen Pkw-Pkw waren m.E. noch nie ein unabwendbares Ereignis. Dies galt nur für Lkw-Pkw Unfälle. Bei zwei in Betrieb befindlichen Fahrzeugen richtet sich doch der Schadensausgleich nach § 7 StVG i.V. m. 17 ABs. 2 StVG, so daß höhere Gewalt hier keine Rolle spielen dürfte, sondern lediglich die Unabwendbarkeit, die nicht gegeben war, weil der Überholer mit dem aufschleudern von Steinen aufgrund der Gegebenheiten rechnen mußte, sich praktisch nicht wie der Idealfahrer verhalten hat. Dies bestätigte letztendlich das LG, denn höhere Gewalt kann bei einem Schaden zwischen zwei in Betrieb befindlichen FAhrzeugen keine Rolle spielen.
Besonders interessant finde ich den letzten Satz: ” Die örtliche Polizei hatte sich geweigert, eine Anzeige wegen Verstoßes gegen § 142 StGB aufzunehmen.”
Endlich mal jemand, der mitdenkt! Hierzulande wurden ähnliche Fälle ebenso gnaden- wie letztlich aber auch erfolglos verfolgt. 😉
Danke für diesen Bericht! Ich fand ihn sehr faszinierend. Steinschlag kann viele gefährden. Hoffentlich werden alle sicher bleiben.