Uff, das war ein harter Kampf. Der Mandant war auf der Fahrbahn des Parkplatzes an einer Parklücke vorbeigefahren. Von dort parkte der Unfallgegner aus. Es kam zur Kollision. Das Amtsgericht hatte noch die Auffassung vertreten, man müsse sich in solchen Fällen generell die Betriebsgefahr anrechnen lassen. Es hatte daher eine Mithaftung von 1/3 angenommen. Damit hat das LG Aachen in seinem Urteil vom 01.09.2016 (Az. 2 S 72/16) gründlich aufgeräumt. Der Beweis des ersten Anscheins spreche komplett gegen den Ausparkenden. Die Betriebsgefahr müsse in einem solchen Fall eines groben Fahrfehlers auch zurücktreten.
Die verklagte Versicherung hatte sich neben diesen erstmals im Rechtsstreit vorgetragenen Standpunkt außerdem auf eine nicht gewährte Besichtigung des Fahrzeugs berufen. Das einwandfreie Gutachten des Sachverständigen des Geschädigten wurde als unbrauchbar bezeichnet. Die Anwältin der Versicherung legte allerdings später eine Bewertung vor, die ähnliche Werte wie dies des Parteigutachters aufwies. Damit nicht genug: Mir wurde sogar vorgeworfen, ich hätte das Gutachten bewusst 1 Monat zurückgehalten, um dieses dann gemeinsam mit der Reparaturrechnung zu versenden und die Versicherung vor vollendete Tatsachen zu stellen. Sie leitete dies aus meiner Vollmacht her, die 1 Monat vor Reparatur unterschrieben worden war. Nur hatte ich alle Unterlagen nach Reparatur im Paket bekommen….
Selbst in der ARGE Verkehrsrecht in gehobener Stellung tätige Anwälte nehmen offensichtlich Versicherungsmandate an und tragen aus “unterster Schublade” vor. Leider bin ich sehr, sehr nachtragend.
Hier das Urteil im Volltext (Download hier):
Verkündet am 01 .09.2016
2 S 72/16
LG Aachen
19 c 367/15
Amtsgericht Heinsberg
LG AACHEN
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
Klägers und Berufungsklägers,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Busch & Kollegen, Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Aachen
auf die mündliche Verhandlung vom 28.07.2016
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Sucher, den Richter am Landgericht Dr. Mohren und die Richterin Vath für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, das Urteil des Amtsgerichts Heinsberg vom 09.03.2016-19 C 367/15-teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.829,75 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 06.10.2015 zu zahlen und den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen aus 52525 Heinsberg i.H.v. 413,64 € freizustellen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am 25.08.2015 in Heinsberg auf dem Kundenparkplatz des REWE-Marktes an der Industriestraße ereignet hat. Auf der Parkplatzfläche sind die Parktaschen rechts und links der Fahrgasse rechtwinklig angeordnet. Zum Zusammenstoß zwischen dem Fahrzeug des Klägers und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug der Zeugin kam es, als die Zeugin rückwärts aus ihrer Parktasche in die Fahrgasse hineinstieß und mit dem die Fahrgasse benutzende Fahrzeug des Klägers im Bereich von dessen rechter hinterer Tür kollidierte.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat dem Kläger, der Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu 100%, einschließlich einer Auslagenpauschale in . Höhe von 30 € verlangt, eine Mitverursachungsquote von 1/3 zugewiesen und infolgedessen eine Haftung der Beklagten lediglich i.H.v. 2/3 angenommen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel vollständigen Schadensersatzes weiter.
II.
Die Berufung ist zulässig und ganz überwiegend begründet.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe, d.h. auf Zahlung weiterer 1.276,53 €.
a) Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs, , hat den Unfall allein verschuldet, indem sie ohne die gebotene Sorgfalt rückwärts aus der Parktasche in die Fahrgasse hineingefahren ist. Die Zeugin traf als Rückwärtsfahrende eine besondere Sorgfaltspflicht, wobei dahinstehen kann, ob man diese . Pflicht aus § 9 Abs. 5 StVO unmittelbar oder bei angenommener Unanwendbarkeit dieser Norm auf Parkplatzunfälle aus dem Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme gemäß § 1 Abs. 2 StVO entnimmt. Das Verschulden der Zeugin R t steht fest aufgrund eines Anscheinsbeweises zu ihren Lasten. Kommt es nämlich auf einen Kundenparkplatz zu einer Kollision zwischen einem rückwärts aus der Parktasche ausfahrenden Fahrzeug mit einem die Mittelgasse in Schrittgeschwindigkeit fahrenden Fahrzeug, so spricht ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des Rückwärtsfahrenden, wenn diesem nicht der Nachweis gelingt, dass er vor der Kollision angehalten hat (BGH NJW 2016, 1098 ff., Rz. 14, 15; OLG Saarbrücken NJW-RR 2015, 223 ff., Rz. 35 – jeweils juris).
Die Tatsachengrundlage dieser Vermutung steht fest. Das Fahrzeug der Zeugin war zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung. Die Beklagte selbst behauptet nicht, dass die Zeugin vor dem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Klägers bereits zum Stillstand gekommen war und der Kläger sodann in das Fahrzeug der Zeugin hineingefahren ist. Eindeutig dagegen spricht auch die Schadensstelle am Fahrzeug des Klägers, die anders nicht zu erklären ist, als das die Zeugin aus einer eigenen Fahrbewegung heraus in das Fahrzeug des Klägers gestoßen ist.
Der gegen die Zeugin sprechende Erfahrungssatz wird auch nicht durch das Fahrverhalten des Klägers infrage gestellt. Anhaltspunkte insbesondere für überhöhte Geschwindigkeit oder Unaufmerksamkeit gibt es nicht. Ein Erfahrungssatz, dass derjenige, der beim Vorwärtsfahren auf der Fahrgasse eines Parkplatzes mit einem rückwärtsfahrenden Pkw kollidiert, mit zu hoher Geschwindigkeit, zu geringen Seitenabstand oder anders unaufmerksam gefahren ist und verspätet reagiert hat, besteht nicht (OLG Saarbrücken a.a.O. Rz. 49).
Eine Vernehmung des Klägers als Partei zu seinem Fahrverhalten kam trotz eines entsprechenden Antrags der Beklagten in deren Schriftsatz vom 17.02.2016 nicht in Betracht. Die Voraussetzungen einer solchen Beweiserhebung ·lagen nicht vor. Einer Parteivernehmung auf Antrag des Prozessgegners gemäß § 445 ZPO erfordert ein konkretes Beweisthema (Reichold in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 36. Auflage <2015>, § 445 ZPO, Rz. 1). Eine entsprechende bestimmte Tatsachenbehauptung hat die Beklagte indes nicht aufgestellt. Ziel ihres Beweisantritts war, wie sich aus Seite 3 des Schriftsatzes vom 07.02.2016 ergibt, vom Kläger selbst eine Schilderung des Unfallhergangs zu erhalten, d.h. den entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Befragung des Klägers auszuforschen. Das ist unzulässig (Reichold in Thomas/Putzo, a.a.O. Rz. 1).
Ein Beharren auf der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zur persönlichen Anhörung gemäߧ 141 ZPO war ebenfalls nicht veranlasst, nachdem der Kläger seine Entbindung von dieser Anordnung gebeten hatte. Dies konnte nur dahin verstanden werden, dass der Kläger von seinem Recht, außer seinem schriftsätzlichen Vorbingen keine Angaben machen zu wollen, Gebrauch machen wollte. In einem solchen Fall kommt eine persönliche Anhörung nicht in Betracht (Reichold, Thomas/Putzo a.a.O., § 141 ZPO Rz. 4).
b) Die nach § 17 StVG gebotene Haftungsabwägung führt zur Alleinhaftung der Beklagten. Das Maß, in dem die Zeugin den Unfall verursacht hat, wiegt unter den gegebenen Umständen so schwer, dass dahinter die einfache Betriebsgefahr des glatten Klägerfahrzeugs zurücktritt. Den Rückwärtsfahrenden trifft eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflicht als den vorwärtsfahrenden, da wegen der eingeschränkten Sichtverhältnisse dem Rückwärtsfahren eine höhere Gefahr innewohnt als dem Vorwärtsfahren (OLG Saarbrücken, a.a.O., Rz. 52).
c) Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Höhe des dem Kläger entstandenen Schadens sind nicht zu beanstanden.· insbesondere war dem Kläger eine Auslagenpauschale lediglich in Höhe von 25,0O € und nicht wie verlangt in Höhe von 30,00 € zuzuerkennen.
Zutreffend weist das Amtsgericht darauf hin, dass Telekommunikationskosten, die durch die Auslagenpauschale kompensierte werden sollen, eher gesunken als gestiegen sind. Wegen eines Betrages von 5,00 € hatte es bei der Klageabweisung
zu bleiben.
2. Der Zinsanspruch und der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ergeben sich aus den Regeln über den Schuldnerverzug, §§ 286, 288.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf§§ 91, 708 Nr. 10 ZPO.
Streitwert 1. Instanz 3.834,75 €
II. Instanz 1.281,53 €
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