In einem aktuellen Beschluß (vom 12.02.2007, Az. 2 BvR 273/06, NJW 2007, S. 1345 und Verkehrsrechtsreport, Heft 4/2007, S. 150) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Anordnung einer Blutentnahme durch Polizeibeamte ohne vorherigen richterlichen Beschluß rechtswidrig sein kann. Die Wohnung des Beschwerdeführers wurde durchsucht und hierbei Drogen gefunden. Einen Urintest verweigerte der Beschwerdeführer. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft eine Blutentnahme angeordnet und durchführen lassen. Der Beschwerdeführer hatte sich hiergegen mit der Beschwerde zur Wehr gesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Vorgehensweise der Instanzgerichte, die sog. Eilkompetenz (“Gefahr in Verzug”) der StA nicht zu überprüfen, aus rechtsstaatlichen Gründen für verfassungswidrig.
In dem Beschluß hat das BVerfG allerdings klare Vorgaben gemacht, wie die Blutentnahme in formeller Hinsicht stattzufinden hat:
“Nach § 81a II StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt – auch der einfachgesetzliche – zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz…Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der StA und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen…Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muß mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist….”
In einem mir bekannten Ermittlungsverfahren wurde ein Fahrzeugführer an einem Werktag gegen ca. 15.40 Uhr mit seinem PKW angehalten. Die Polizeibeamten nahmen Alkoholgeruch wahr und führten eine nicht näher dokumentierte Atemalkoholmessung durch, die ein erhebliches Ergebnis gehabt haben soll. Sodann wurde telefonisch gegen 15.45 Uhr Kontakt mit der zuständigen Richterin des AG Heinsberg aufgenommen. Da sich offenbar der Dienstschluß näherte, wurde der anfragende Beamte mit seiner Bitte um einen entsprechenden Beschluß abgewiesen. Er durfte sich zur Begründung anhören, daß sie nur entscheiden könne, “wenn eine Anzeige vorliege”. Die Beamten “sollen in solchen Fällen von Gefahr im Verzuge ausgehen und selbst die Blutprobe anordnen”. Anschließend wurde die Blutprobe entnommen.
Diese Vorgehensweise war m. E. rechtswidrig. Ein gerichtlicher Beschluß hätte ohne weiteres und ohne daß der Untersuchungserfolg gefährdet wäre, eingeholt werden können. Die Blutentnahme wurde durch den Arzt erst um 16.37 Uhr vorgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ein gerichtlicher Beschluß vorliegen können. Zwar ist es gar nicht so fernliegend, bei Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr eine gewisse Dringlichkeit anzunehmen. Gleichwohl entsprach die Vorgehensweise nicht den Anforderungen der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
In einer Urteilsanmerkung zu dieser Entscheidung (VRR 2007, S. 151) kommt RiOLG Burhoff zu dem Ergebnis, daß in dem vom BVerfG entschiedenen Fall das Vorgehen der StA “objektiv willkürlich” gewesen sei; in diesen Fällen liege ein Beweisverwertungsverbot nahe. In dem von mir geschilderten Fall ist den Polizeibeamten (fast) kein Vorwurf zu machen; vielleicht hätten sie nur etwas hartnäckiger auf einem Beschluß bestehen müssen. Das Verhalten der Richterin war allerdings mindestens ein schwer wiegender Verstoß. Der Verweis auf eine Anzeige, die ihr erst einmal vorliegen müssen, ist – mit Verlaub- formaler Unsinn. Die Anordnung, daß generell von “Gefahr in Verzuge” auszugehen sei, ist mit der oben geschilderten Rechtsprechung des BVerfG, wonach die im Einzelfall maßgeblichen Tatsachen festzuhalten sind, nicht in Einklang zu bringen. Liegt ein solcher Verstoß gegen die Vorschriften der StPO vor, dann muß meines Ermessens erst recht ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden, wenn dies durch einen Richter geschieht.
Update 25.06.2008: Ob und wie diese Entscheidung des BVerfG angewendet werden soll, ist inzwischen bei den Instanzgerichten umstritten. Einige Oberlandesgerichte nehmen an, dass in der Regel kein Beweisverwertungsverbot die Folge ist. In einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 23.04.2008, Az. 528 Qs 42/08) hat das LG Berlin allerdings ein Beweisverwertungsverbot angenommen.
Update 23.08.2008: Inzwischen gibt es einige weitere Entscheidungen, wobei sich eine Tendenz der Gerichte – oh Wunder – dahin abzeichnet, kein Verwertungsverbot anzunehmen. Bei einem Streit um die Verwertbarkeit des BAK-Gutachtens ist nach Auffassung des LG Schweinfurt (Beschluss v. 14.05.2008, Az. 1 Qs 50/08, VRR 8/2008, S. 316) ein Verteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen.
Fragen:
Wie ist die Festnahme und möglicherweise notwendige, längerfristige Ingewahrsamnahme zum Herbeiführen eines richterlichen Beschlusses zur Blutprobenentnahme zu werten?
Welche qualitativen Anforderungen sind an die Entscheidung eines Richters zu stellen, der entscheiden soll, ob einem Beschuldigten eine Blutprobe entnommen werden soll oder nicht? Ist es in seinem solchen Fall aus Gründen der Nachvollziehbarkeit nicht sehr wohl notwendig, zur Beschlussfassung entsprechende schriftliche Unterlagen (Anzeige, Bericht, pp) anzufordern?
[…] nach sich zieht und wo die verfassungsmäßigen Grenzen zu ziehen sind. Ich hatte hier über die Entscheidung des BVerfG berichtet, die zumindest noch Ansatzpunkte für eine […]