Abzug neu für alt: nicht immer !

Mit einer sehr guten Argumentation hat das AG Coesfeld (Urteil vom 26.11.2008, 11 C 281/08, DV 2009, S. 36) einem Geschädigten den Neupreis einer beschädigten, ca. 5 Jahre alten Brille zugesprochen, und nicht den Zeitwert. Mit der nachfolgenden Argumentation kann einer Kürzung in einem vergleichbaren Sachverhalt entgegengetreten werden:

“Entgegen der Ansicht der Beklagten muss der Kläger sich keinen Abzug “neu für alt” gefallen lassen. Gem. § 249 Abs. 1 BGB hat der Schadensersatzpflichtige den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, sog. Naturalrestitution. Gem. Abs. 2 der genannten Vorschrift kann der Gläubiger bei Beschädigung einer Sache statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Ist eine Herstellung der Sache nicht möglich, so hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger nach Maßgabe des § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen. Vorliegend scheidet eine Herstellung der Brille aus, da sie unstreitig vollkommen zerstört wurde, sodass § 251 Abs. 1 BGB Anwendung findet. Soweit § 251 Abs. 1 BGB eine Entschädigung in Geld vorsieht, ist damit der Wiederbeschaffungswert der zerstörten Sache gemeint, da die Entschädigung den beim Gläubiger entstandenen Schaden kompensieren soll. Entgegen der üblichen Handhabung im Rahmen des § 249 Abs. 1 BGB ist daher nicht ausschließlich der Zeitwert des zerstörten Gegenstandes zu ersetzen, da regelmäßig eine Anschaffung zum Preis des Zeitwertes auf Grund der anzulegenden Händlerspannen nicht möglich sein dürfte (vgl. zum Ganzen Oetker, in: MüKo zum BGB, 5. Aufl. 2007, § 251, Rn 18). Daraus ergibt sich, dass für die Höhe der Geldentschädigung Anknüpfungspunkt nicht der tatsächliche Wert der Sache ist. Vielmehr bemisst sich die Höhe nach dem Aufwand, den der Gläubiger betreiben muss, um eine (möglichst) gleichwertige Sache zu erhalten.

Folgerichtig muss dann auch ausnahmsweise durch den Schädiger der Neupreis der Sache ersetzt werden, wenn eine günstigere Beschaffung einer gleichwertigen Sache nicht möglich ist, etwa weil entsprechende gebrauchte Gegenstände mangels Marktes nicht käuflich zu erwerben sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es im Rahmen des § 251 Abs. 1 BGB also darauf an, ob ein Markt für entsprechende gleichwertige Gegenstände besteht.

Dieses Ergebnis entspricht der gesetzlichen Regelung und ist interessengerecht. Zwar erfährt der Gläubiger durch die Anschaffung einer neuen Sache unstreitig eine Vermögensmehrung, wenn – wie hier – ein 5 Jahre alter Gegenstand des täglichen Gebrauchs durch einen neuen ersetzt wird, sodass vordergründig der Schadensersatzgläubiger auf Kosten des Ersatzpflichtigen berechnet wird. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Gläubiger auf Grund des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses in eine Zwangslage gerät. Will er – entsprechend dem Zustand vor dem schädigenden Ereignis -eine gleichwertige Sache erhalten, muss er den entsprechenden Anschaffungspreis “wohl oder übel” zahlen. Ist eine Anschaffung zum tatsächlichen Wert des Gegenstandes nicht möglich, kann der Anschaffungspreis unter Umständen dem Neupreis entsprechen. Wird jetzt von einem dem Grunde nach bestehenden Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens ein Abzug auf Grund einer dem Gläubiger aufgedrängten Vermögensmehrung gemacht, ist er verpflichtet, diesen entsprechenden Abzug selbst zu zahlen. Dies gilt unabhängig davon, ob er finanziell gerade dazu in der Lage ist, oder ob er entsprechende finanzielle Mittel für andere Verwendungszwecke fest eingeplant hat. Dadurch wird das Integritätsinteresse des Gläubigers beeinträchtigt, auch wenn rein kalkulatorisch lediglich eine Vermögensmehrung aufgefangen wird. Insofern ist der Gläubiger gegenüber dem Ersatzpflichtigen schutzwürdig. Zwar soll ihm durch die Leistung von Schadensersatz von der gesetzgeberischen Intention kein Vorteil zukommen. Anders herum gilt jedoch, dass dem Gläubiger die durch das schädigende Ereignis entstandenen Nachteile ausgeglichen werden sollen. Der Zwang, sofort  einen neuen Gegenstand anschaffen zu müssen, obwohl der zerstörte Gegenstand bei gewöhnlichem Lauf der Dinge noch voll einsatzfähig war, ist ein Nachteil in diesem Sinne. Bei sachgerechter Beurteilung muss damit das Risiko eines außergewöhnlich hohen Wiederbeschaffungswerts des Gegenstands nicht dem Gläubiger, sondern dem Schädiger auferlegt werden.”

Update 11.10.2010:

Der Schadenfixblog listet in einem Beitrag weitere Urteile in diesem Sinne auf.

3 Kommentare

  1. Dies ist in der Rechtsprechung zwischenzeitlich mehrfach bestätigt worden. Im Folgenden findet sich eine Übersicht über die Rechtsprechung der letzten Jahren, die wesentlichen Entscheidungsgründe sind zitiert:

    Bei der beschädigten Motorradkleidung des Klägers, dessen Ersatz er im Rahmen eines Schadensersatzanspruches geltend macht, handelt es sich um Schutzkleidung (Jacke, Hose und Handschuh rechts), welche nach einem Sturz zu ersetzen sind, damit die einwandfreie Schutzfunktion in Zukunft gewährleistet ist. Abzüge Neu für Alt braucht sich der Kläger insoweit nicht anrechnen lassen.

    LG Potsdam, Urteil vom 11.12.2008, Az.: 3 S 59/08

    Bei der Motorradbekleidung (Jacke, Helm und Stiefel) handelt es sich um Schutzkleidung, welche nach einem Sturz zu ersetzen ist, damit die einwandfreie Schutzfunktion in Zukunft gewährleistet ist. Abzüge neu für alt braucht sich der Kläger insoweit nicht anrechnen lassen.

    Zudem ist allgemein bekannt, dass gerade alte, getragene Lederjacken, wie die hier streitgegenständliche einen Liebhaber- und Abnehmerkreis haben, weshalb unter Berücksichtigung des § 287 ZPO die insoweit geltend gemachten Beträge keinen durchgreifenden Bedenken unterliegen. Auch die beschädigte Jeans ist zum geltend gemachten Betrag zu ersetzen.

    LG Darmstadt, Urteil vom 28.08.2007 Az. 13 O 602/05

    Ein verunfallter Motorradfahrer kann von dem Schädiger vollen Ersatz für die bei dem Unfall beschädigte Motorradkleidung inklusive Schutzhelm verlangen.
    Der genaue Grad der Beschädigung ist irrelevant.
    Ein Abzug “neu für alt” ist nicht vorzunehmen, da die Schutzkleidung eines Motorradfahrers ausschließlich dessen Sicherheit dient und dem Geschädigten die Anschaffung gebrauchter Sachen nicht zumutbar ist.

    AG Lahnstein, Urteil vom 31.03.1998, Az. 2 C 44/98

    Verursacht ein Autofahrer einen Unfall mit einem Motorrad muß der Autofahrer die zerstörte Kleidung des Motorradfahrers ersetzen.
    Auch für ältere Kleidung kann kein Abzug geltend gemacht werden, da die Kleidung unabhängig vom Alter und der Gebrauchsdauer den Motorradfahrer vor Verletzungen schützt. Im genannten Fall ging es um eine zwei Jahre alte Jacke und einen drei Jahre alten Helm.

    AG Bad Schwartau, Az. 3 C 312/99

    Mit Einschränkungen:

    Motorradkleidung unterliegt nicht den für normale Kleidung geltenden Bewertungsmaßstäben; sie dient vornehmlich der Sicherheit des Fahrers und ist daher, wenn sie noch relativ neu ist, mit dem Neuwert zu erstatten.

    LG Oldenburg, Urteil vom 23.03.2001, Az.: 2 O 514/00

    Wegen der langen Lebensdauer von Motorradkleidung ist bei der Ersatzberechnung für eine unfallbeschädigte und nur 5 Monate alte Motorradkleidung ein Abzug neu für alt nicht vorzunehmen.

    AG Essen, Urteil vom 23.08.2005, Az. 24 C 436/04

  2. Die Schadenspositionen hinsichtlich der Motorradkleidung sind unseres Ermessens ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Die Anschaffungsrechnungen müssen nicht vorgelegt werden, da Ersatz auf Neupreisbasis verlangt werden kann. Zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt ist unseres Ermessens ebenfalls ausreichend vorgetragen worden.

    Die folgenden Gerichtsentscheidungen haben eine Entschädigung auf Neupreisbasis befürwortet:

    LG Köln Urt. vom 25.1.2005 – 16 O 381/03, Rdnr. 23; LG Darmstadt Urt. 28.8.2007 – 13 O 602/05 – = DAR 2008, 89; AG Lahnstein DAR 1998, 240; AG Bad Schwartau DAR 1999, 458; AG Aachen Urt. v. 25.11. 2004 – 8 C 471/04 – jeweils zitiert nach juris

    Insbesondere die Begründung des AG Aachen soll hier zitiert werden:

    “Demgegenüber kann der Kläger im Hinblick auf die beschädigte Motorradkleidung (Helm, Jacke, Rückenprotektor) ein weiteren Schadensersatz in Höhe von 460,00 Euro zu. Ist bei einem Verkehrsunfall Schutzkleidung (Motorradhelm, Motorradjacke etc.) beschädigt worden, so ist grundsätzlich der Neupreis der Schutzkleidung zu ersetzen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt bei Motorradschutzkleidung dabei keine Vorteilsanrechnung im Wege des Abzugs “neu für alt” in Betracht (vgl. Amtsgericht Aachen Urteil vom 18.11.2004, Az.: 8 C 350/04). Ein Abzug allein aufgrund des Alters der Schutzkleidung scheidet bereits deshalb aus, da kein kontinuierlicher Wertverlust aufgrund des Alters eintritt (vgl. AG Bad Schwartau, ZfSch 2000, 488). Hierin liegt auch kein Verstoß gegen das “Besserstellungsverbot”, nach dem der Geschädigte aus der Schädigung keinen Gewinn erzielen soll. Die Schutzkleidung eines Motorradfahrers dient ausschließlich dessen Sicherheit. Dem Geschädigten ist die Anschaffung gebrauchter Sachen nicht zumutbar (vgl. AG Lahnstein, DAR 1998, 240-241). Die Motorradkleidung bietet nach einem erlittenen Sturz keine hinreichende Sicherheit mehr für einen zukünftigen Sturz. Dass die Motorradkleidung, insbesondere der Helm in einem schlechten Zustand waren, ist nicht ersichtlich. Die begehrten Neuanschaffungspreise waren unstreitig. Dabei ist auch der genaue Grad der Beschädigung irrelevant.”

  3. Und wie ist das bei einer Verkehrsampel, die umgefahren wird? Wird hier ein Abzug “neu für alt” vorgenommen? (wir haben hier gerade eine große Diskussion darüber)
    Die vorherigen Ausführungen fand ich gut, bin mir aber nicht so schlüssig, ob Ampel mit Motorradjacke argumentativ verglichen werden kann.

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