Guten Tag,
anbei ein Beschluss des AG Neumünster. Was nehmen die da? Dem Betroffenen wird ein Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen; Messung mit Poliscan. Ich habe die digitalen Falldaten angefordert, um die Messung durch die Fa. VUT überprüfen lassen zu können. Das ist eigentlich ein Selbstläufer. Wohl nicht im Zuständigkeitsbereich des OLG Schleswig. Der Antrag gem. § 62 OWiG wird sogar als unzulässig zurückgewiesen. Was die Behörde nicht hat, muss sie nicht rausrücken. Basta. Und wenn es standardisiert ist, ist alles richtig – was muss man denn da als Betroffener noch groß nachfragen ? Also der große Persilschein für Behörden und Messgerätehersteller. Und da wundern sich die Behörden, wenn die Messungen nicht akzeptiert werden ?
Am Rande: Sollte dieser Richter die Bußgeldsache erneut auf den Tisch kriegen, wird er wegen Befangenheit abgelehnt. Offensichtlich war der Richter schon in der Lage, den Vorwurf zu prüfen (“….das die Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen gemessen hatte.”). Unschuldsvermutung brauchen die da drüben wohl nicht.
Sehr schön auch, dass man dem Betroffenen vorwirft, er hätte keine Anknüpfungstatsachen vorgetragen, die auf eine Fehlerhaftigkeit der Messung hinweisen. Das ist der reinste Hohn – denn ohne die Messdaten kann man die Messung nun mal nicht überprüfen und sich auch nicht verteidigen.
Und wie geht es dann vor Gericht weiter? Das beschreibt der Kollege Gratz dann in diesem Beitrag….
Amtsgericht Neumünster
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Verteidiger
Rechtsanwalt Jürgen Frese Schafhausener Str. 38, 52525 Heinsberg,
hat das Amtsgericht – Abteilung für Bußgeldsachen – durch Direktor des Amtsgerichts
Martins am 18.02.2016 beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und seine insoweit entstandenen notwendigen
Auslagen trägt der Betroffene.
Gründe:
Der gemäß § 62 Abs. 1 OWiG statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig,
denn er richtet sich nicht gegen eine behördliche Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann gerichtet werden gegen Anordnungen, Verfügungen
und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren
getroffen werden. Ein solcher anfechtbarer Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde
muss eine selbständige Bedeutung haben (vgl. Göhler/Seitz, Ordnungswidrigkeitengesetz,
15. Aufl. § 62 Rn . 2-4). Keine selbständige Bedeutung kommt dem Unterlassen beantragter
Ermittlungsmaßnahmen oder die Ablehnung eines Beweisantrages zu , sie können nur mit
dem gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelf angefochten werden (Göhler/
Seitz, a.a.O. Rn. 4) , vorliegend also mit dem Einspruch gegen einen künftigen Bußgeldbescheid
der Stadt Neumünster.
Der Verteidiger begehrt für den Betroffenen die Übermittlung aller „digitaler Messdaten”,
insbesondere wohl des kompletten Messfilms des Messgeräts PoliScan Speed, das die
Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen gemessen hatte. Hierbei handelt es sich
entgegen der Ansicht des Verteidigers um eine noch nicht erfolgte – unselbständige – Beweiserhebung
und nicht um eine Akteneinsicht, deren Versagung einer gerichtlichen Entscheidung
nach § 62 OWiG unterläge. Digitale Messdaten – was auch immer der Betroffene
damit meint – insbesondere aber der Messfilm sind nämlich noch nicht Bestandteil der
Akten . Auch der Grundsatz der Aktenvollständigkeit gebietet es der Verwaltungsbehörde
nicht, den Messfilm zum Aktenbestandteil und damit dem Verteidiger im Wege der Akteneinsicht
zugänglich zu machen.
Bei dem Messverfahren PoliScan Speed handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren
. Dies bedeutet, dass die Amtsgerichte in Schleswig-Holstein von der grundsätzlichen
Verwertbarkeit der mit diesem Verfahren gewonnenen Ergebnisse ausgehen können.
Darüber hinaus können Anträge, die auf Beiziehung und Offenlegung der geschützten Herstellerunterlagen
zielen, oder Anträge auf Einholung entsprechender Sachverständigengutachten
ohne Verstoß gegen den Amtsaufklärungsgrundsatz zurückgewiesen werden .
Hierin läge auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens oder der Gewährung
rechtlichen Gehörs. Einem Betroffenen ist nur insoweit Zugang zu Unterlagen zu
gewähren, als das Gericht selbst sie für seine Entscheidung für bedeutsam hält und sie
beizieht (OLG Schleswig, Beschluss vom 31 .10.2013, Az. 1 Ss OWi 141/13 (172/13) juris).
Entsprechendes hat für die Verwaltungsbehörden zu gelten. Es würde die Ermittlungsobliegenheiten
der Ordnungsbehörden überfrachten, bei einem standardisierten Messverfahren,
auf dessen ordnungsgemäße Funktion im konkreten Fall sich die Behörde grundsätzlich
verlassen kann , gleichwohl den Messfilm, also die Beweisfotos der vorangegangenen
und folgenden Verstöße des gesamten Messzeitraums, beizuziehen und auszuwerten.
Zwar kann auch bei einem standardisierten Geschwindigkeitsmessverfahren der Betroffene
uneingeschränkt konkrete Bedienungsfehler oder die Missachtung von Herstellerangaben
zum korrekten Einsatz der Geräte rügen (OLG Schleswig a.a.O.), was der Ordnungsbehörde
Anlass gäbe, die Ermittlungen auf die näheren Umstände des Messvorgangs auszuweiten
. Die aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellte Vermutung, die Messung
könnte nicht ordnungsgemäß erfolgt sein, reicht hierfür allerdings nicht. So liegt der Fall
hier aber, denn der Betroffene hat keine konkreten Anknüpfungstatsachen vorgetragen,
dass der Messvorgang fehlerhaft gewesen sein könnte. Er will vielmehr eine allgemeine
Fehlerkontrolle vornehmen. Diese ist ihm jedoch nur über den Weg eines Beweisantrags
im gerichtlichen Verfahren, nicht aber über eine Akteneinsicht zugänglich.
Insofern liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, da dem Betroffenen
die Möglichkeit bleibt, sie begehrte Beweiserhebung im gerichtlichen Verfahren
zu beantragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus§§ 473 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Dieser Beschluss ist
nicht anfechtbar.
Martins