AG Heinsberg: Desinfektionskosten nach Corona erstattungsfähig

Die “eine Hälfte” des AG Heinsberg hat mit Urteil vom 06.10.2021, 18 C 136/21, erneut die Erstattungsfähigkeit der Corona-Desinfektionskosten (bei konkreter Abrechnung) bejaht. Das Urteil ist ausführlich und zutreffend begründet. Es nimmt zum Argument der “anderen Hälfte” des AG Heinsberg Stellung, wonach die Kosten als “Arbeitsschutz” nicht erstattungsfähig seien. Diese ablehnende Haltung wird in Kürze in einer anderen Sache seinen Weg zum LG Aachen als Berufungsgericht finden. Von deren Urteil sollte zumindest für diesem Kammerbezirk dann eine Befriedungsfunktion ausgehen.

Hier das Urteil zum Herunterladen, nachfolgend der Volltext:


18 C 136/21

Amtsgericht Heinsberg

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägerin,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Frese, Jürgen, Siemensstraße
12, 52525 Heinsberg,

gegen

Beklagte,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte BLD Bach Langheid Dallmay München, Karlstraße 10, 80333 München,

hat das Amtsgericht Heinsberg
im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung am
05.10.2021
durch die Richterin am Amtsgericht Lürkens
für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber der Autohaus
. Kommanditgesellschaft von einer Forderung in Höhe von 45,00 € aus der Rechnung vom 21.05.2021,
Rechnungsnummer 382429, freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

(ohne Tatbestand gemäß § 313a ZPO)

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 45,00 € aus §§
7, 17 StVG in Verbindung mit § 115 VVG.

Es ist unstreitig, dass der klägerische Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen
115 bei einem allein schuldhaft durch die Fahrerin des bei der Beklagten
haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen verursachten
Verkehrsunfall vom 14.05.2021 beschädigt worden ist.

Der Höhe nach besteht ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines weiteren
Betrags von 45,00 €.

Der streitige Betrag von 45,00 € ist von dem Autohaus V unter dem
21.05.2021 für Desinfektionsmittel (7,50 €) und die Durchführung einer
Fahrzeugdesinfektion (0,3 Std., 37,50 €) abgerechnet worden.

Die Kosten für die Durchführung einer Desinfektion von Fahrzeugbauteilen vor und
nach Ausführung von Reparaturarbeiten nach einer unfallbedingten Beschädigung
eines Pkw sind dem Grunde nach erstattungsfähig.

Es ist weder für die Mitarbeiter des Reparaturbetriebs noch für den Geschädigten
zumutbar, Reparaturarbeiten an dem Pkw durchzuführen bzw. diesen nach erfolgter
Nutzung wieder zu nutzen, ohne dass zuvor diejenigen Bauteile des Pkw desinfiziert
worden sind, die im Rahmen der Benutzung bzw. im Rahmen der Ausführung der
Reparaturarbeiten von dem Geschädigten bzw. den Mitarbeitern des
Reparaturbetriebs berührt worden sind. Dies beruht auf der Erwägung, dass eine
Corona-Infektion des Geschädigten bzw. eines Mitarbeiter des Reparaturbetriebs
nicht ausgeschlossen werden kann und es ebenso nicht ausgeschlossen werden
kann, dass eine Virenübertragung durch Berührung von Kontaktflächen des Pkw
erfolgt. Diese Möglichkeit genügt nach Auffassung des erkennenden Gerichts, um die
Durchführung einer Fahrzeug-Desinfektion vor und nach Ausführung der
Reparaturarbeiten als erforderlich anzusehen. Es ist weder dem Geschädigten noch
den Mitarbeitern des Reparaturbetriebs zuzumuten, dass Risiko einer
Corona-Infektion durch Berührung von kontaktrelevanten Flächen des Fahrzeugs
einzugehen.

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung handelt es sich auch
um eine Maßnahme, die in ursächlichem Zusammenhang mit dem
streitgegenständlichen Verkehrsunfall steht. Denn allein aufgrund der unfallbedingten
Schäden ist die Ausführung von Reparaturmaßnahmen erforderlich, die wiederum
entsprechend der obigen Ausführungen eine Fahrzeugdesinfektion erfordert. Auch
wenn mit der Desinfektion vor Ausführung der Reparaturarbeiten ein Schutz der
Mitarbeiter des Reparaturbetriebs erfolgt, bedeutet dies nicht, dass die diesbezüglich
anfallenden Kosten nicht von dem Schädiger zu erstatten sind. Erstattungsfähig sind
die Kosten aller notwendigen Arbeiten, die im Rahmen der Ausführung der Reparatur
durchgeführt werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Maßnahmen, die zum
Mitarbeiterschutz in dem Reparaturbetrieb durchgeführt werden. Diese sind bereits in
den Gemeinkosten mit enthalten, in die Werkstattpreise eingepreist und werden über
diese von dem Schädiger mit erstattet. Etwas anderes gilt bzgl. der Kosten der
Fahrzeugdesinfektion, die erst seit Anfang 2020 anfallen. Es ist dem jeweiligen
Reparaturbetrieb überlassen, ob er diese –über ein Preiserhöhung- mit in die
allgemeinen Werkstattpreise einpreist oder gesondert in der Rechnung ausweist. Es
ist vorliegend auch ohne rechtliche Bedeutung, wie der Reparaturbetrieb mit diesen
Kosten in anderen Fällen als der hier streitgegenständlichen Reparatur von
fremdverschuldeten Unfallschäden verfährt. Es besteht keine Verpflichtung des
Reparaturbetriebs zur identischen Abrechnung. Er ist vielmehr berechtigt, Kunden,
die die Kosten einer Reparatur oder Inspektion selbst zu tragen haben, aus Kulanz
nicht mit Desinfektionskosten zu belasten. Es ist auch ohne rechtliche Bedeutung, ob
die Klägerin mit dem Reparaturbetrieb die Durchführung einer Fahrzeugdesinfektion
vereinbart hat. Sie hat einen allgemeinen Reparaturauftrag erteilt und damit einen
Auftrag zu Durchführung aller zur Reparatur der Unfallschäden erforderlichen
Arbeiten. Es wird schließlich auch im Übrigen nicht jeder von dem Reparaturbetrieb
auszuführende Handgriff gesondert beauftragt.

Das Gericht sieht es zudem als erwiesen an, dass der klägerische Pkw vor und nach
Ausführung der Reparaturarbeiten tatsächlich desinfiziert worden ist. Der Zeuge
J n hat in seiner schriftlichen Aussage vom 26.08.2021 detailliert und
nachvollziehbar geschildert, welche Oberflächen des klägerischen Pkw mit welchen
Materialien desinfiziert worden sind. Das Gericht erachtet seine Angaben daher für
glaubhaft und ist deshalb davon überzeugt, dass tatsächlich eine Desinfektion des
klägerischen Pkw vor und nach Reparaturausführung erfolgt ist.
Das Gericht sieht es zudem aufgrund der diesbezüglichen Angabe des Zeugen
J n als erwiesen an, dass für die Ausführung der Desinfektionsarbeiten ein
Zeitaufwand von 18 Minuten und Materialkosten von 8,93 € anfallen sind. Auch diese
Angaben sind glaubhaft. Ein Zeitaufwand von 2*9 Minuten für die Desinfektion der
von dem Zeugen genannten Bauteile ist nachvollziehbar, ebenso Kosten von 8,93 €
für die Nutzung der von dem Zeugen genannten Materialien. Eine Grundlage für eine
ergänzende Befragung des Zeugen J n hat nicht bestanden. Soweit die Beklagte
mit Schriftsatz vom 13.09.2021 eine ergänzende Stellungnahme zu der
Notwendigkeit der Desinfektion von Türrahmen, Fensterhebern und Griffen am
Handschuhfach gefordert hat, hat es einer Beantwortung mangels
Entscheidungserheblichkeit der Antwort nicht bedurft. Der Reparaturbetrieb ist nach
Ansicht des erkennenden Gerichts nicht dazu verpflichtet gewesen, vor Desinfektion
des klägerischen Pkw zu prüfen, welche Bauteile im Rahmen der Reparatur
möglicherweise berührt werden und anschließend nur diese zu desinfizieren. Er ist
vielmehr zur Desinfektion sämtlicher kontaktrelevanter Bauteile berechtigt gewesen,
da eine Notwendigkeit der Berührung nie auszuschließen ist und eine vorherige
Prüfung mehr Zeit als eine Desinfektion sämtlicher kontaktrelevanter Bauteile
erfordern würde. Ebenso ist es nicht entscheidungserheblich, ob Desinfektionskosten
auch denjenigen Personen in Rechnung gestellt werden, die die Kosten der
Reparatur oder Inspektion selbst zahlen. Wie oben ausgeführt, ist der
Reparaturbetrieb zu einer unterschiedlichen Abrechnung berechtigt. Es ändert
insbesondere nichts an der Ortsüblichkeit und Angemessenheit der
Inrechnungstellung der Desinfektionskosten, wenn diese einem bestimmten
Personenkreis aus Kulanz nicht in Rechnung gestellt werden. Da die Beklagte
ausweislich des Schriftsatzes vom 13.09.2021 allein diese zusätzlichen Fragen an
den Zeugen J en hat richten wollen, hat es einer weiteren Vernehmung des
Zeugen Jansen nicht bedurft. Dieser ist allein denjenigen Fragen ergänzend zu
befragen, die auch tatsächlich entscheidungserheblich sind.

Es besteht daher ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Desinfektionskosten
von insgesamt 45,00 €.

Das von der Beklagten mit Schriftsatz vom 01.10.2021 zur Akte gereichte Urteil des
Amtsgerichts Heinsberg stammt von einem anderen Abteilungsrichter des
Amtsgerichts Heinsberg, an dessen Entscheidung die für das vorliegende Verfahren
zuständige Abteilungsrichterin nicht gebunden ist.

Die Klägerin hat trotz ausdrücklichen Bestreitens der Beklagten nicht vorgetragen
und unter Beweis gestellt, dass die Rechnung des Autohauses n vom
21.05.2021 von ihr vollständig ausgeglichen worden ist. Deshalb besteht seitens der
Klägerin lediglich ein Anspruch auf Freistellung. Bei diesem Freistellungsanspruch
handelt es sich nicht um eine Geldforderung im Sinne von § 288 BGB, so dass keine
Zinsforderung besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.2 Nr.1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr.11, 713 ZPO.

Streitwert: 45,00 €.

Rechtsbehelfsbelehrung:

[…]
Lürkens