Volle Haftung des Radfahrers

Ein Radfahrer, der unachtsam die Fahrbahn überquert, haftet voll für die Folgen eines Zusammenstoßes mit dem bevorrechtigten KFZ. Das AG Heinsberg (Urteil vom 08.05.2013, Az. 18 C 390/12) hatte über die Klage des PKW-Fahrers und die Widerklage der Fahrradfahrerin zu entscheiden. Der PKW-Fahrer war auf eine Ampelkreuzung zugefahren und hatte vor einer Querungshilfe und der dann beginnenden Linksabbiegerspur den linken Blinker gesetzt. Die Unfallgegnerin befuhr den aus Sicht des PKW-Fahrers am rechten Fahrbahnrand befindlichen Fahrradweg und benutzte eine Querungshilfe, um die Fahrbahn zu überqueren. Dabei kam es zur Kollision. Die Fahrradfahrerin machte geltend, den Blinker als Zeichen gewertet zu haben, dass der PKW in eine weiter vor der Querungshilfe befindliche Straße abbiegen wolle. Damit wurde sie beim AG Heinsberg nicht gehört. Der PKW-Fahrer gewann voll, sogar die Betriebsgefahr seines PKW stand hinter dem groben Verschulden der Fahrradfahrerin zurück.

Hier das Urteil:

18 c 390/12

Verkündet am 08.05.2013

Amtsgericht Heinsberg

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Busch & Kollegen,
Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,

gegen

Beklagte und Widerklägerin,

hat das Amtsgericht Heinsberg
auf die mündliche Verhandlung vom 22.04.2013
durch die Richterin Dörr
für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den ·Kläger 2.669,98 € nebst Zinsen in’
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 30.10.2012 zu zahlen.

2. Oie Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von
Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch und
Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 272,87 €, € nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten üb.er dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 30.10.2012 freizustellen.

Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom
22.9.2012 auf der Mühlenstraße in Heinsberg-Kempen. Der Kläger befuhr mit dem
Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen die Mühlenstraße aus Richtung
Karken kommend, die Beklagte befuhr den aus Sicht des Klägers rechtsseitigen
Radweg in Richtung Karken. Die vom Kläger befahrene Fahrbahn ist an dieser Stelle
zweispurig ausgebildet. Dabeiführt die rechte der beiden Fahrspuren geradeaus auf
eine Kreuzung, an der sich unter anderem auch eine Linksabbiegerspur befindet,
und die linke Fahrspur als Linksabbiegerspur in die Oberstraße. Kurz vor der
. Einmündung zur Oberstraße wollte die Beklagte die Mühlenstraße über eine dort
angelegte Querungshilfe überqueren. Der Kläger betätigte kurz vor dem überfahren
qer Querungshilfe den Fahrtrichtungsanzeiger links, die Beklagte – die davon
ausging, er werde links abbiegen – setzte daraufhin zum überqueren der Straße an.
Es kam zum Zusammenstoß mit dem Pkw des Klägers. Dabei wurden der PKW des
Klägers sowie das Fahrrad der Bekl.agten beschädigt.
Der vom Kläger beauftragte private Sachverständige ermittelte
Netto-Reparaturkosten in Höhe von 3.233,78 € sowie eine Wertminderung in Höhe
von 180,00 €. Das Gutachten des Privatsachverständigen verursachte Kosten in
Höhe von 626,20 €, daneben macht der Kläger eine allgemeine Unkostenpauschale
in Höhe von 30,00 € geltend. Auf den vom Kläger geltend gemachten
Gesamtschaden in Höhe von 4.069,89 € leistete die hinter der Beklagten stehende
Haftpflichtversicherung 1.400,00 €. Den offenen Betrag in Höhe von 2.669,89 €
macht der Kläger nunmehr geltend. Daneben verlangt er Ersatz für seine
außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 51’1, 11 €.
Am Fahrrad der Beklagten entstand ein Sachschaden in Höhe von 283,30 €. Neben
diesem Schaden macht die Beklagte widerklagend eine Schmerzensgeldforderung
wegen einer ihrerseits erlittenen Hüftprellung sowie eine Unkostenpauschale in Höhe
von 25 €geltend.

Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des von ihm bei dem Unfall gefahrenen
Fahrzeugs. Er habe den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, weil er sich hinter der
Querungshilfe auf die Linksabbiegerspur an der Kreuzung zur Roermonderstraße
habe einordnen wollen.
Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.669,98 € nebs.t Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 29.10.2012 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der
Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von
511, 11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 30.10.2012
freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt sie,

1. den Kläger und die Drittwider~eklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, an
sie 308,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 26.10.2012 zu zahlen.

2. den Kläger und die Drittwiderbeklagte. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an
sie ein angemess~nes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 26.10.2012 zu
zahlen.

3. den Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, an
den Rechtsschutzversicherer der Klägerin, LVM Rechtsschutzversicherung,
Kolde-Ring 21, 48126 Münster zu Schaden Nummer
Betrag in Höhe von 155,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagte beantragen,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger habe den Eindruck erweckt, nach links in die
Oberstraße abbiegen zu wollen, indem er den Fahrtrichtungsanzeigers links betätigt
und seine Fahrgeschwindigkeit reduziert habe. Diese Absicht habe er dann
offensichtlich aufgegeben, und seine Fahrt geradeaus fortgesetzt. Sie ist der Ansicht,
dass eine Schmerzensgeldforderung in Höhe von 800 € angemessen sei.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die beiderseitigigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben
durch Vernehmung des Zeu;gen . Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Protokol,I der mündlichen Verhandlung vom
22.04.2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Die zulässige Widerklage ist unbegründet.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der noch offenen Schadenspositionen
in Höhe von 2.669,98 € gegen die Beklagte sowie auf Freistellung von seinen
vorgerichtlich entstandenen Verbindlichkeiten gegenüber · seinem
Prozessbevollmächtigten in Höhe von 272,87 € aus § 823 Abs. 1 B.GB.
a) Die Beklagte hat den Pkw des Klägers, und damit dessen Eigentum beschädigt.
Dass der Pkw im Eigentum des Klägers steht, geht aus der vorgelegten Rechnung
vom 15.03.2010 i.V.m. der Vermutung nach§ 1006 BGB hervor.
Die Beklagte war nach § 828 Abs. 3 BGB voll verantwortlich. Sie hat das
Vorfahrtsrecht des Klägers grob fahrlässig verletzt, als sie dazu ansetzte, die
Vorfahrtsstraße mit ihrem Fahrrad zu überqueren, obwohl der Kläger sich erkennbar
mit seinem Fahrzeug der Querungshilfe näherte.
Etwas anderes gilt auch nicht vor dem Hintergrund, dass der Kläger den
Fahrtrichtungsanzeiger betätigte und seine Geschwindigkeit reduzierte. Alleine aus
diesen Umständen durfte die Beklagte in Anbetracht der örtlichen Gegebe~heiten
nicht auf eine Abbiegeabsicht des Klägers schließen. Denn zum einen befindet sich
unmittelbar hinter der Querungshilfe eine weitere Kreuzung mit Linksabbiegerspur
– und zum anderen hat der Kläger die vor der Querungshilfe befindliche
Linksabbiegerspur zur Oberstraße hin unstreitig nicht befahren. Die Verlangsamung
der Fahrtgeschwindigkeit und das Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers sind an der
streitgegenständlichen Unfallstelle bei einem Fahrer, der den
Geradeaus-Fahrstreifen benutzt und nicht die’ Linksabbiegerspur, nicht einer
Abbiegeabsicht in die Oberstraße zuzuordnen, sondern beziehen sich erkennbar auf
den hinter der Querung angrenzenden Kreuzungsbereich. Die Beklagte war im
Rahmen ihrer Wartepflicht gehalten – erst recht bei einer für sie nicht deutlich
zuzuordnenden und damit unklaren Verkehrssituation – abzuwarten, bis der Kläger
die Querungshilfe passiert hatte oder aber tatsächlich nach links abgebogen wäre.
b) Ein Mitverschulden war dem Kläger nach §§ 254 Abs. 1 BGB, 9 StVG nicht
anzurechnen. Die Beklagte konnte ihre Behauptung, der Kläger habe zunächst
beabsichtigt, nach links in die Oberstraße abzubiegen, was der Beklagten das
gefahrlose Queren der Mühlenstraße ermöglicht hätte; nicht beweisen. Die Aussage
des Zeugen ist unergiebig, da er nach eigenen Angaben die Fahrt des Pkws
des Klägers vor dem Unfall nicht beobachtet hatte. Das Beweisangebot der
Vernehmung der Polizeibeamten war ersichtlich ungeeignet zum Beweis der
Tatsache, da diese erst nach dem Unfall zum Unfallort kamen und so keine
Wahrnehmungen zum Fahrverhalten des Klägers vor dem Unfall haben konnten. Aus
der Unfallmitteilung geht die Behauptung der Beklagten ebenfalls nicht hervor.
Dem Kläger ist aus seinem Verhalten – in Gestalt der Reduzierung der
Fahrtgeschwindigkeit und des Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers – angesichts
der örtlichen Gegebenheiten und der unmittelbar angrenzenden Kreuzung kein
Vorwurf zu machen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich
die Beklagte als Radfahrerin für den Kläger erkennbar an der Querungshilfe befand.
Denn insbesondere angesichts des in die Oberstraße führenden
Linksabbiegerfahrstreifens, den der Kläger gerade nicht befuhr, musste er aufgrund
der örtlichen Gegebenheiten nicht damit rechnen, dass die Beklagte sein Verhalten
fehldeutete.
Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt angesichts des grob fahrlässigen
Vorfahrtsverstoßes der Beklagten vollständig zurück.
c) Dem Kläger ist ein ersatzfähiger Schaden in Höhe der offenen Forderung vo_n
2.669,98 € entstanden, den er von der Beklagten ersetzt verlangen kann, § 249
BGB. Bezüglich der Höhe des Schadens hat die Beklagte keine substantiierten
Einwendungen erhoben.

Der Kläger hat zudem Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 272,87 €, 249 BGB. Dies entspricht einer 1,3
Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG W zuzüglich einer Postpauschale von 20 €
und Mehrwertsteuer auf einen Gegenstandswert von 2.669,98 €.

Unter Berücksichtigung der Bemessungskriterien des§ 14 RVG erachtet das Gericht
die 1,3-fache Geschäftsgebühr als die angemessene Honorierung der erbrachten
rechtsanwaltlichen Tätigkeit. Denn zur Bearbeitung kam einer der Regelfälle
anwaltlicher Tätigkeit bei der VerkehrsunfallschadenregulieLung:_kla[e_HaftungsJage
und übliche Schadenspositionen. Die rechtsanwaltliche Tätigkeit war nicht
umfangreich und auch nicht schwierig. Sie ist mit der Schwellengebühr des
1,3-fachen Gebührensatzes angemessen abgegolten. Denn es ist auch nicht
hinreichend vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die von dem Rechtsanwalt
entfaltete rechtsanwaltliche Tätigkeit den bei ·der Regulierung von
Verkehrsunfallschäden regelmäßig verbundenen Arbeitsaufwand in einem solchen
Maß überschritten hat, dass die Bearbeitung überdurchschnittlichen Aufwand gebot.
Dies ist allerdings aufgrund des Nachsatzes in Nr. 2400 RVG W Voraussetzung für
eine über 1,3 hinausgehende Gebühr (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 420). Eine
entsprec.h en„d e Toleranzgrenze ist dem Rechtsanwalt nur insoweit einzuräumen, als
er von seinem Ermessen erkennbar Gebrauch gemacht hat.. Dies erfordert zumindest
eine hinreichende Erläuterung, warum die Abwicklung eines
Standard-Verkehrsunfalfs einen überdurchschnittlichen Aufwand erforderte (vgl. OLG
Stuttgart, Urteil vom 19.04.2012 – 2 U 91/11 ). Die Beiziehung einer
Verkehrsunfallakte sowie die Korrespondenz · mit dem zuständigen
Haftpflichtversicherer gehören zur standardmäßigen Abwicklung von
Verkehrsunfällen und stellen daher für sich genommen keine hinreichende
Erläuterung für den überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad dar.

2. Der Beklagten stehen die widerklagend geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
Der Kläger und die Drittwide.rbeklagte haften der Beklagten nicht nach §§ 7, 18
StVG, 823 BGB, i.V.m. § 115 WG, da die Betriebsgefahr sowie ein etwaiger
Verursachungsbeitrag des Klägers unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der
Beklagten nach §§ 9 StVG, 254 BGB hinter dem grob fahrlässigen Vorfahrtsverstoß
der Beklagten zurücktreten. Auf die unter Ziffer 1. aufgeführte Begründung wird
insoweit verwiesen.

3. Der Zinsanspruch folgt§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf§§ 92, 709 ZPO.

III.

Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt: .3.578,28 €
(Klage: 2.669,98,
Widerklage: 308,30 €+Schmerzensgeld 600 €).

Dörr

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