Das AG Aachen (Urteil vom 17.04.2014, Az. 103 C 11/14, Download hier) hat die Provinzial-Versicherung zur Zahlung der Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall verurteilt. Eine Zahlung wurde verweigert, weil die Einholung eines (Kurz-)Gutachtens bei einem Schaden von rund 800 € brutto nicht erforderlich sei. Dem hat das Amtsgericht mit zutreffender Argumentation widersprochen. Von einem Bagatellschaden könne oberhalb eines Schadens von 700 € nicht ausgegangen werden. Auch konnte der Geschädigte als Laie nicht von einem Bagatellschaden aufgrund des Fahrzeugzustands ausgehen. Auch der Höhe nach seien die Sachverständigenkosten nicht zu kritisieren.
Hier das Urteil im Volltext:
103 C 11 /14
Verkündet am 17.04.2014
Prümm, Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle
Amtsgericht Aachen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
Klägers,
Rechtsanwälte Busch u.a., Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,
gegen
Beklagte,
Rechtsanwälte Bach, Langheid & Dallmayr,Theodor-Heuss-Ring 13-15, 50668 Köln,
hat das Amtsgericht Aachen
im vereinfachten Verfahren gemäߧ 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung am 14.04.2014
durch die Richterin Hülsen
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 232,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.01 .2014 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von
Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen
i.H.v. 83,54 €freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, 511
Abs. 2 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Klage ist begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls vom
auf der Straße in Aachen ein Anspruch auf Erstattung von
Sachverständigenkosten in Höhe von 232,65 € aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1
S. 1 Nr. 1 WG, 1 PflVG zu. Die grundsätzliche hundertprozentige Haftung der
Beklagten steht zwischen den Parteien außer Streit.
– 3 –
Die Kosten für die Einholung eines Schadensgutachtens gehören zu den gemäß
§ 249 BGB erstattungsfähigen Kosten, soweit die Begutachtung zur
Geltendmachung des Schadersatzanspruches erforderlich und zweckmäßig ist (BGH
v. 23.01.2007, VI ZR 67/06, Rn. 11, zitiert nach juris). Für die Frage der
Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des
Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (BGH NJW 1995,446).
Dabei ist maßgebend, ob ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter
nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines
Sachverständigen geboten erachten durfte. Für die Frage der Erforderlichkeit ist nicht
alleine auf die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe abzustellen. Die
Schadenshöhe ist dem Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung gerade nicht
bekannt. Zumindest aber kann bei einem Schaden i.H.v. 801,08 € brutto nicht von
einem Bagatellschaden ausgegangen werden. Die Bagatellgrenze wird von der
Rechtsprechung und Literatur bei rund 700 € angesiedelt (vergleiche Grüneberg,
Palandt, 73. Auflage, § 249 Rn. 58). Das Gericht folgt der Auffassung, dass eine
Bagatellgrenze von über 700 € nicht angemessen ist. Von der fehlenden
Erforderlichkeit der Einholung eines Gutachtens kann ausgegangen werden, wenn
durch das Schadensereignis für den· Geschädigten als Laien ohne Weiteres
erkennbar lediglich ein oberflächlicher Schaden eingetreten ist. Es ist gerade nicht
ersichtlich, dass für den Kläger als Laien erkennbar war, dass lediglich ein
oberflächlicher Schaden eingetreten ist. Auf den Lichtbildern des beschädigten
Fahrzeugs ist zu erkennen, dass der Schaden sich nicht auf eine Stelle beschränkt.
Erkennbar wurde das Kennzeichen eingedrückt und auch links des Kennzeichnens
an der Stoßstange ist eine Beschädigung festzustellen. Die Lichtbilder lassen nicht
eindeutig erkennen, dass die eine Veränderung der Spaltmaße ausgeschlossen
werden kann. Der Kläger konnte demnach nicht davon ausgehen, dass sich nur eine
oberflächliche Beschädigung handelt, sondern konnte die genau Beschädigungen
durch einen Sachverständigen begutachten lassen. Dass sich der Schaden letztlich
auf einen oberflächlichen Schaden begrenzt hat, ist für die Frage der Erforderlichkeit
wie oben ausgeführt unbeachtlich, da sich die Frage der Erforderlichkeit aus der
ex-ante Sicht beurteilt. Darüber hinaus muss der Geschädigte die Möglichkeit
erhalten, den merkantilen Minderwert erstattet zu verlangen, der nur durch einen
Sachverständigen festgestellt werden kann. Auch aus diesem Grund war die
Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich und zweckmäßig.
Die Kosten der Begutachtung sind auch der Höhe. nach erstattungsfähig. Der
Geschädigte kann vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 BGB als erforderlichen
Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines
verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur
Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Er ist nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den
wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für
die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Der
Geschädigte ist grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen
Marktes verpflichtet, um einen für den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer
möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Der
Sachverständige hat sich vorliegend auf die Erstattung eines Kurzgutachtens
beschränkt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass für den Kläger bei
Beauftragung des Sachverständigen erkennbar war, dass dieser sein Honorar
willkürlich festsetzt oder dass Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis
zueinander stehen. Das Honorar bewegt sich im Rahmen der Werte, welche die
Honorarbefragung 2013 des Bundesverbandes der freiberuflichen und unabhängigen
Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. (BVSK) ergeben hat.
Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 €
ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Da die Beklagte die Zahlung der
Sachverständigenkosten durch das Schreiben vom 17.12.2013 verweigert hat, sind
dem Kläger die Kosten für die Inanspruchnahme seines Prozessbevollmächtigten zu
erstatten.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf§§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert
(§ 511 Abs. 4 ZPO).
Streitwert: 232,65 €