AG Erkelenz zum Motorradunfall – Haftungsabwägung und Motorradschutzkleidung

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Mit Urteil vom 15.03.2018, Az. 6 C 395/16, hat das AG Erkelenz eine interessante Entscheidung zur Haftungsabwägung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Motorradfahrer (Kläger) und einem ausscherenden PKW (Beklagte) getroffen.

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten hat das Amtsgericht diese zur Alleinhaftung verurteilt. Es folgt bei der klassischen “Überholer/Linksabbieger”-Konstellation der vorherrschenden Rechtsprechung, wonach den Linksabbieger/Ausscherenden die Alleinhaftung trifft. Zwar habe die Klägerin über die Gegenfahrspur überholt; ein Verkehrsverstoß sei ihr allerdings nicht nachzuweisen. Die Beklagten hätten das Bestehen einer unklaren Verkehrslage nicht zu beweisen vermocht. Das Ausscheren sei grob fahrlässig gewesen.

Die Klägerin muss ich bei der Motorradkleidung keinen Abzug neu für alt gefallen lassen. Das AG schließt sich der Auffassung des OLG Düsseldorf an.

Der Nutzungsausfall wird auch fiktiv zugesprochen; das entspricht der ständigen Rechtsprechung des AG Erkelenz. Der Anspruch besteht auch bei Nutzung eines Motorrads, weil die Klägerin vorgetragen hatte, dass es sich beim Motorrad um ihr alleiniges Transportmittel in den Sommermonaten handele. Der Anspruch bestehe für den Zeitraum bis zum Erhalt des Gutachtens zzgl. einer Überlegungsfrist und zzgl. der Reparaturdauer laut Gutachten.

Ein Schmerzensgeld sprach das Gericht aber nicht zu, weil der geprellte Daumen eine Bagatellverletzung darstelle.

Das Urteil steht hier zum Download zur Verfügung.


Hier das Urteil im Volltext:

6 C 395/16

Verkündet am 15.03.2018

Amtsgericht Erkelenz

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägerin,

Rechtsanwälte Busch & Kollegen, Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,

gegen

1.

2. die HUK-Coburg Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand,
Bahnhofsplatz 1, 96442 Coburg,

Beklagten,

Prozessbevollmächtigte

zu 1, 2: Rechtsanwälte Schwarz & Vell, Am Landgericht 4, 41061 Mönchengladbach,

hat das Amtsgericht Erkelenz

im schriftlichen Verfahren mit einer Schriftsatzeinreichungsfrist bis zum 22.02.2018

durch die Richterin Lütke

für Recht erkannt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die
Klägerin einen Betrag von 2.757,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
30.09.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin
von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch
& Kollegen in Höhe von 571,44 EUR freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits
gesamtschuldnerisch zu 88%, die Klägerin zu 12% zu tragen.
5. .Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für die Klägerin jedoch nur
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch
die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht
der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über restliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen
nach einem Verkehrsunfall in .

Am 25.08.2016 befuhren die Klägerin mit ihrem Kraftrad, Typ Honda CBR 500 R,
amtliches Kennzeichen und die Beklagte zu 1) mit einem bei der Beklagten
zu 2) haftpflichtversicherten Pkw, Typ Hyundai Atos, amtliches Kennzeichen
die Jülicher Straße in Hückelhoven. Aus Fahrtrichtung Doveren kommend teilt
sich die Jülicher Straße in eine kombinierte Geradeaus-/Rechtsabbiegerspur und in
eine Linksabbiegerspur auf. Die Klägerin befuhr die Jülicher Straße in die gleiche
Fahrtrichtung wie die Beklagte zu 1 ). Sie wollte auf die Linksabbiegerspur wechseln.

Als die Klägerin sich auf Höhe des linken vorderen Kotflügels der Beklagten zu 1)
befand, scherte diese aus und es kam zur Kollision, wobei die Klägerin mit ihrem
Krad stürzte und danach über Schmerzen im rechten Daumen klagte.
Die Klägerin holte ein privates Sachverständigengutachten ein. Dieses wies NettoReparaturkosten
in Höhe von 2.938,26 EUR sowie eine merkantile Wertminderung in
Höhe von 150,00 EUR bei einem Wiederbeschaffungswert von 4.600,00 EUR netto
aus. Das Gutachten vom 03.09.2016 lag der Klägerin unter dem 05.09.2016 vor.
Dieses sieht eine Reparaturdauer von zwei Tagen vor. Für die Erstellung dieses
Gutachtens entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 614,52. Die Klägerin ließ ihr
Kraftrad zu einem Preis von 3.568,65 EUR brutto reparieren. Sie gab das Kraftrad
am 25.08.2016 bei einer entsprechenden Reparaturwerkstatt ab und erhielt es am
21.09.2016 zurück. Außerdem wandte sie 8,00 EUR für die Einholung eines
ärztlichen Attestes auf.

Bei dem Unfall wurden zudem der Motorradhelm der Klägerin, den sie zu einem
Kaufpreis in Höhe von 149,95 heruntergesetzt von 196,95 EUR erworben hatte,
sowie ihre Schuhe mit einem Zeitwert von 20,00 EUR beschädigt.
Nachdem die Beklagte zu 2) eine Teilzahlung in Höhe von 1.500,00 EUR geleistet
hatte, forderte die Klägerin den restlichen Betrag in Höhe von 3.788,07 EUR, wovon
700,00 EUR auf eine geforderte Nutzungsentschädigung für den Zeitraum vom
25.08.2016 bis zum 21.09.2016 entfielen, sowie ein Schmerzensgeld und die
vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 571,44 EUR mit Schreiben
vom 22.09.2016 unter Fristsetzung bis zum 29.09.2016 fruchtlos ein.

Die Klägerin behauptet,
die Beklagte zu 1) habe plötzlich ohne Betätigung des Blinkers auf die
Linksabbiegerspur gewechselt, als sich die Klägerin auf Höhe des Pkw der Beklagten
zu 1) befand. Die Beklagte zu 1) sei vollständig auf die Gegenfahrbahn gefahren und
habe ihr Fahrzeug fahrend gegen das klägerische Motorrad bewegt.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünden eine Nutzungsausfallentschädigung für die
Zeit vom 25.08.2016 bis zum 21.09.2016 und ein Schmerzensgeldanspruch einer
Größenordnung von 200,00 EUR wegen einer – unstreitigen – Zerrung des rechten
Daumens zu. Hinsichtlich des Motorradhelms stünden ihr 196,90 EUR zu, ein Rabatt
könne den Beklagten nicht zu Gute kommen.

Ursprünglich hat die Klägerin hinsichtlich des Klageantrags zu 1.) beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an sie 3.788,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 30.09.2016 zu
zahlen. Nachdem die Beklagte zu 2) am 20.01 .2017 einen Betrag in Höhe von
729,09 EUR an die Klägerin gezahlt hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit in
Bezug auf den Klageantrag zu 1.) teilweise, nämlich in eben dieser Höhe,
übereinstimmend für erledigt erklärt.

Nunmehr beantragt die Klägerin noch,

1. die Beklagten zu verurteilen, an sie 3.058,98 EUR nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
30.09.2016 zu zahlen;
2. die Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld,
dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, eine
Größenordnung von 200,00 EUR aber nicht unterschreiten sollte, nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz der EZB seit dem 30.09.2016 zu zahlen;
3. die Beklagten zu verurteilen, sie von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen
der Rechtsanwälte Busch & Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von
571,44 EUR freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten,

die Klägerin habe durch ihr Verhalten maßgeblich zum Unfallgeschehen beigetragen.
Vor der Beklagten zu 1) habe ein Lkw gestanden und nach rechts geblinkt. Der Lkw
sei noch vor der Auffächerung der Spuren zum Stehen gekommen. Zunächst sei die
Beklagte zu 1) davon ausgegangen, der Lkw wolle nach rechts abbiegen. Nachdem
dann jedoch mehrere Fahrzeuge sie und den Lkw passiert hätten, sei ihr klar
geworden, dass der Lkw angehalten habe und nicht abbiegen wolle. Daraufhin habe
sie den Entschluss gefasst, ebenfalls am Lkw vorbeizuziehen und dazu in den
Rückspiegel geschaut und den Schulterblick vollzogen. Sie habe die Klägerin auch
wahrgenommen. Diese sei aber noch so weit entfernt gewesen, dass ein überholen
des Lkw möglich gewesen sei. Sie sei dann rausgezogen und habe mit ihrem
Fahrzeug schon über der Mittellinie gestanden, als es dann zum Unfall gekommen
sei. Die Klägerin habe versucht, sich an dem Fahrzeug der Beklagten zu 1)
vorbeizudrängen.

Die Beklagten sind der Ansicht, ein Schmerzensgeldanspruch stehe der Klägerin
nicht zu, da es sich um eine Bagatellverletzung handele. Bzgl. der Motorradkleidung
sei ferner ein Abzug neu für alt gerechtfertigt, da die Bekleidung dem Verschleiß
sowie der Mode unterliege. Bzgl. der Nutzungsausfallentschädigung behaupten sie,
der Klägerin habe ein anderes Fahrzeug zur Verfügung gestanden. Als allgemeine
Kostenpauschale könne die Klägerin lediglich 25,00 EUR beanspruchen, da dies der
ständigen Rechtsprechung entspreche.

Das Gericht hat die Akten der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, Az.:
mit der Einleitungsverfügung vom 11.01.2017 beigezogen und – gern. dem
Beweisbeschluss vom 25.08.2017 (BI. 105 d. A.) – Beweis erhoben durch Einholung
eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Herrn Dipl.-Ing. – ·
vom 28.11.2017. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das
Gutachten (S. 139 ff. d. A.) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die mündliche
Verhandlung vom 21.08.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nachdem die Parteien ihre Zustimmung zum Übergang ins schriftliche Verfahren
erklärt hatten, konnte gern. 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung schriftlich
entschieden werden.
Insbesondere bedurfte es nicht der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung,
weil die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte nicht beigezogen worden wäre. Dies
ist bereits mit der Einleitungsverfügung vom 11 .01.2017 geschehen. Soweit von
Belang, sind die wesentlichen Anknüpfungstatsachen überdies im eingeholten
Gutachten vom des Sachverständigen enthalten.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Zahlung von
insgesamt 2.757,03 EUR aus§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG – Klageantrag zu 1.) –
bzw. aus§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB – Klageantrag zu 3.). Gegen die Beklagte zu
2) hat die Klägerin einen Anspruch in gleicher Höhe aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
i.V.m. § 1 PflVG, wobei die Beklagten nach § 115 Abs. 1 S. 4 VVG als
Gesamtschuldner haften.
1.
Eine Haftung dem Grunde nach bzgl. des Klageantrags zu 1.) ist gegeben. Die
Anspruchsvoraussetzungen der§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG liegen vor.
Beim von der Beklagten zu 1) bewegten Pkw handelt es sich nach § 1 Abs. 2 StVG
um ein Kraftfahrzeug. Die Beklagte zu 1) ist auch Führerin dieses Fahrzeugs i.S.d. §
18 Abs. 1 S. 1 StVG. Fahrzeugführer ist, wer das Kraftfahrzeug unmittelbar lenkt
oder steuert. Dies hat die Beklagte zu 1) unstreitig getan.
Es liegt zudem ein Betrieb des Kfz vor. Ausreichend ist ein naher zeitlicher und
örtlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang. Es muss sich lediglich die
typischerweise einem Kraftfahrzeug anhaftende Gefahr, Betriebsgefahr, realisieren.
Dies ist hier der Fall, denn der Unfall ereignete sich während der Fahrt des
Beklagten-Kfz. Es ist ferner ein kausaler, von § 7 Abs. 1 StVG erfasster, Schaden in
Form einer Körperverletzung und Sachbeschädigung eingetreten. Durch den Unfall
erlitt die Klägerin eine Zerrung des rechten Daumens und ihr Motorrad wurde
beschädigt.
Die Beklagte zu 1) hat den Schadenseintritt auch im Sinne des § 18 Abs. 1 StVG zu
verschulden. Es gilt auch hier der Verschuldensmaßstab des§ 276 Abs. 1 BGB, der
Fahrzeugführer hat also sowohl Vorsatz als auch Fahrlässigkeit zu vertreten. Die
Beklagte zu 1.) hat die Verschuldensvermutung des § 18 Abs. 1 S. 2 StVG nicht
widerlegt. Aus dem auch insoweit eingeholten Gutachten des Sachverständigen
Dipl.-Ing. ergibt sich vielmehr, dass die Beklagte zu 1) das
Unfallgeschehen sicher hätte vermeiden können, wenn sie vor Einleiten des
Ausschervorganges den rückwärtigen Verkehrsraum aufmerksam beobachtet, das
sich von links hinten annähernde Kraftrad der Klägerin als überholendes Fahrzeug
erkannt und den Ausschervorgang zurückgestellt hätte. Durch ihr Ausscheren hat die
Beklagte zu 1) die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet und nach § 276
Abs. 2 BGB zumindest fahrlässig gehandelt.
Es liegen keine Haftungsausschlusstatbestände vor.
Insbesondere liegt kein Fall höherer Gewalt vor. Ein Ausschluss nach § 7 Abs. 2
StVG liegt schon deshalb nicht vor, weil kein betriebsfremdes Ereignis im Raum
steht.
Angesichts dessen, dass auch die Klägerin in Bezug auf den streitgegenständlichen
Unfall der Halter- und Führerhaftung gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG unterfällt,
kommt es auf die Verantwortungsbeiträge der Unfallbeteiligten gemäߧ 17 StVG an.
War der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3
StVG, sind unter Berücksichtigung derjenigen Tatsachen, die unstreitig oder
bewiesen sind, die Haftungsanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gegeneinander
abzuwägen.
Die Verpflichtung zum Ersatz des entstandenen Schadens ist nicht nach § 17 Abs. 3
StVG ausgeschlossen, denn es liegt sowohl auf Seiten der Klägerin als auch auf
Seiten der Beklagten zu 1) kein unabwendbares Ereignis im Sinne der Vorschrift vor.
Ein unabwendbares Ereignis liegt dann vor, wenn ein gedanklicher Idealfahrer den
Unfall nicht hätte vermeiden können. Hier hätte ein Idealfahrer jedoch den Unfall auf
beiden Seiten vermeiden können. Im Falle der Klägerin hätte ein Idealfahrer mit
einem Ausscheren der Beklagten zu 1) gerechnet und hätte die wartende
Fahrzeugkolonne nicht überholt bzw. hätte den Überholvorgang rechtzeitig
abgebrochen. Auf Seiten der Beklagten zu 1) hätte ein Idealfahrer so hinreichend
Rückschau gehalten, dass eine Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug nicht
aufgetreten wäre.
Die Abwägung der jeweiligen Verantwortungsbeiträge führt vorliegend zu einer
Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagten.
Die Beklagte zu 1) hat zur Überzeugung des Gerichts gegen§§ 5 Abs. 4, 7 Abs. 5 S.
1 StVO verstoßen. Danach darf zum überholen nur ausgeschert bzw. ein
Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden
Verkehrs bzw. anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Bei Wahrunterstellung des Beklagtenvortrags, wonach sich am rechten
Fahrbahnrand ein haltender LKW befunden habe, den die Beklagte zu 1.) habe
umfahren wollen, liegt zudem ein Verstoß gegen § 6 StVO vor. Nach § 6 S. 3 ist auf
den nachfolgenden Verkehr zu achten und das Ausscheren sowie das
Wiedereinordnen – wie beim Überholen – anzukündigen, wenn zwecks Umfahrens
eines Hindernisses ausgeschert werden muss. Dass die Beklagte zu 1.) beim
Ausscheren den nachfolgenden Verkehr gefährdet hat, ergibt sich aus dem sogar
realisierten Risiko, nämlich dem streitgegenständlichen Unfall.
Dagegen lässt sich ein Verstoß gegen die Verkehrsregeln auf Seiten der Klägerin
nicht feststellen.
Zwischen den Parteien besteht inzwischen Einigkeit dahingehend, dass sich der
Unfall in Höhe der auf der Straße in . ·–··-·· ·-. -·. Straße befindlichen
Tankstelle zugetragen hat. Dort sind die zwei Fahrspuren – eine für jede
Fahrtrichtung – nach den sachverständigen Feststellungen des Dipl.-Ing. · in
seinem Gutachten vom 27.11 .2017 durch eine unterbrochene Mittellinie getrennt.
Die Klägerin ist an einer längeren Schlange wartender Fahrzeuge unter
Mitbenutzung der Gegenfahrspur vorbeigefahren und hat so überholt. Ein überholen
ist innerorts bei durchbrochener Mittellinie nur bei Vorliegen einer unklaren
Verkehrslage ein Verkehrsverstoß.
Für das Bestehen einer unklaren Verkehrslage sind die Beklagten beweisbelastet.
Dieser Beweis ist ihnen jedoch nicht gelungen.
Zum Einen konnten die Beklagten keinen Beweis für das Betätigen des
Fahrtrichtungsanzeigers zu Beginn des Ausschervorgangs anbieten, was bei
rechtzeitigem Betätigen jedoch zu einer unklaren Verkehrslage geführt hätte.
Zum Anderen wird die Verkehrslage nicht allein durch das Warten mehrerer
Fahrzeuge unklar. Insoweit kann dahinstehen, ob sich diese Schlange aufgrund der
auf Rot stehenden Lichtzeichenanlage vor der Kreuzung gebildet hatte, wobei sich
die Fahrbahn wenige Meter später auffächert und eine Linksabbiegerspur entsteht,
oder ob die Warteschlange entstand, weil ein LKW am rechten Fahrbahnrand ein
Hindernis bildete.
In einem wie dem anderen Fall bestand die Gefahr, dass andere Verkehrsteilnehmer
unbedacht ausscheren, was die Verkehrssituation allerdings nicht unklar i.S.d. 5 Abs.
3 Nr. 1 StVO macht. Solange keine konkreten Anzeichen für ein bevorstehendes
Ausscheren ersichtlich sind, ist es auch erlaubt, eine längere Autoschlange zu
überholen, bzw. dieses Hindernis zu umfahren.
Aufgrund der Gefahr des Ausscherens tritt die Betriebsgefahr des klägerischen
Fahrzeuges jedoch nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände wie von selbst zurück,
wenn es bei einem derartigen Manöver zu einem Unfall kommt.
Dieses Zurücktreten ergibt sich erst daraus, dass die Beklagte zu 1.) sich beim
Ausscheren gröbstens verschätzt hat.
Zwar hat sie in ihrer informatorischen Anhörung angegeben, sie habe die Klägerin
wahrgenommen, aber noch ausreichend Platz zum Ausscheren gehabt.
Dass diese Aussage unzutreffend ist, steht aber aufgrund der sachverständigen
Ausführungen des Dipl.-Ing. in seinem Gutachten vom 27.11.2017 zur
Überzeugung des Gerichts fest.
Danach war der Unfall für die Klägerin in der Annäherungsphase an das
Beklagtenfahrzeug nicht mehr vermeidbar.
Der Sachverständige führt dazu aus, dass aufgrund der Klägerin sowohl bei einem
zügigen Anfahren der Beklagten zu 1.) ohne ein Abbremsen an der Mittellinie als
auch bei einem Abbremsen an der Mittellinie und dann folgendem (weiteren)
Anfahren keine ausreichende Reaktionszeit zur Verfügung gestanden habe.
Die Klägerin sei mit einer Geschwindigkeit von 22-27 km/h bei dort erlaubten 50 km/h
gefahren, was er nachvollziehbar anhand der aus den gesicherten Spuren ermittelten
Kollisionsgeschwindigkeit ableitet. Das Gericht schließt sich den sachverständigen
Ausführungen vollumfänglich an. Der Sachverständige hat den Unfallhergang
plausibel nachvollziehbar rekonstruiert.
Wenn aber die Beklagte zu 1.) ausscherte, obwohl sie die Klägerin wahrgenommen
hatte und die Klägerin mit angepasster Geschwindigkeit fuhr, steht zur Überzeugung
des Gerichts fest, dass sich die Beklagte zu 1 .) beim Ausscheren hinsichtlich der
Abstände und Geschwindigkeiten im Maß der Leichtfertigkeit, mithin grob fahrlässig,
verschätzt hat. Sie hat gegen das Verhaltensgebot verstoßen, das im Moment des
Ausscherens jedem verständigen Menschen sofort eingeleuchtet hätte, nämlich beim
rückwärtigen Herannahen eines überholenden Verkehrsteilnehmers bei bereits
kritischem bzw. nachgewiesen nicht ausreichendem Abstand, nicht zum überholen,
bzw. Umfahren eines Hindernisses anzusetzen. Nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme ist die klägerische Formulierung (im Schriftsatz vom 01.02.2017),
die Beklagte zu 1.) habe die Klägerin „aber den Haufen gefahren” durchaus
zutreffend.
Die geltend gemachte Höhe des Schadens ist jedoch nicht vollumfänglich
zuzusprechen. Die Höhe des ersatzfähigen Schadens der Klageanträge beläuft sich
auf insgesamt 2.757,03 EUR.
Außer Streit stehen zwischen den Parteien die Reparaturkosten in Höhe von
3.568,65 EUR, deren Ersatzfähigkeit sich aus § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ergibt, der
merkantile Minderwert des klägerischen Fahrzeugs in Höhe von 150,00 EUR, der
nach § 251 BGB ersatzfähig ist, sowie der Zeitwert der Turnschuhe in Höhe von
20,00 EUR und die Sachverständigenkosten in Höhe von 614,52 EUR, die wiederum
nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähig sind. Außer Streit stehen ferner die
Attestkosten von 8,00 EUR, deren Ersatzfähigkeit ebenfalls aus § 249 Abs. 2 S. 1
BGB folgt.
Hinsichtlich des Helmes, dessen Ersatzfähigkeit sich ebenfalls nach § 249 Abs. 2 S.
1 BGB richtet, bildet schon aufgrund des schadensersatzrechtlichen
Bereicherungsverbotes der tatsächlich gezahlte Kaufpreis von 149,95 EUR (s. die
entsprechende Rechnung, BI. 24 d. A.) die Obergrenze des ersatzfähigen Schadens.
Ob es sich dabei um einen allgemein gültigen Sonderpreis oder einen Nachlass
speziell für die Klägerin gehandelt hat, spielt also keine Rolle. Einen Abzug neu für
alt muss sich die Klägerin hingegen nicht entgegenhalten lassen, da ein
Motorradfahrer einen Anspruch auf die Kosten für die Neuanschaffung seines
Schutzhelms hat, wenn der Helm bei einem Unfall einer mechanischen Belastung
ausgesetzt war, da verborgene Mängel des Helms als Folge dieser Belastung nicht
auszuschließen sind (OLG Düsseldorf, NZV 2006, 415).
In Bezug auf den Nutzungsausfallschaden, dessen Ersatzfähigkeit sich nach § 251
Abs. 1 BGB richtet, hat der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die
Möglichkeit zur Nutzung seines Pkw einbüßt, auch dann einen
Schadensersatzanspruch, wenn er kein Ersatzfahrzeug mietet (BGH NJW 2009,
1663). Motorräder werden zwar grds. geschützt, aber nicht, wenn der Halter neben
dem nur der Freizeitgestaltung dienenden Motorrad einen Pkw hat (BGH NZV 2012,
223). Die Klägerin trägt vor, dass sie das Motorrad in den Sommermonaten
ausschließlich nutze, was insofern ausreicht. Zwar stellen die Beklagten die
Vermutung auf, der Klägerin stehe ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung, mit dieser
pauschalen Behauptung haben sie ihrer insofern bestehenden Pflicht zum
hinreichend substantiierten Bestreiten jedoch nicht genüge getan.
Hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der Ersatzpflicht gilt, dass sich der Anspruch
auf die für die Reparatur notwendige Zeit beschränkt. Der Geschädigte darf die
Erteilung des Reparaturauftrages zurückstellen, bis das erforderliche Gutachten
vorliegt oder er Rechtsrat eingeholt hat (Palandt/Grüneberg, § 249 BGB, Rn. 37). Ein
entsprechendes Gutachten vom 03.09.2016 lag der Klägerin unter dem 05.09.2016
vor. Darin wurde u.a. eine Reparaturzeit von etwa zwei Arbeitstagen festgestellt. Die
Rechnung der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs datiert jedoch erst auf den
21.09.2016. Selbst wenn man der Klägerin nach dem Gutachten noch eine kurze
Zeitspanne zur Einholung eines Rechtsrates bzw. eine Überlegungsfrist von einer
Woche zubilligt, so kann sie aufsummiert Nutzungsausfall lediglich für 18 Tage
verlangen. In Bezug auf den weitergehenden Nutzungsausfall hat sie gegen ihre
Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 Abs. 2 S. 1 a.E. BGB verstoßen. Die
Höhe des Nutzungsausfalls von 25,00 EUR pro Tag wurde nicht beanstandet,
weshalb sich ein Nutzungsausfallschaden in Höhe von 450,00 EUR ergibt. Ein
darüber hinausgehender Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls steht der
Klägerin nicht zu.
Eine nachweisunabhängige Unkostenpauschale kann die Klägerin lediglich in Höhe
von 25,00 EUR ersetzt verlangen. Das Gericht setzt diese Höhe nach § 287 Abs. 1
ZPO fest.
Daraus ergibt sich ein erstattungsfähiger Betrag von insgesamt und ursprünglich
4.986, 12 EUR. Hiervon wurden bereits 2.229,09 EUR durch die Beklagte zu 2)
beglichen, so dass noch ein Betrag von insgesamt 2.757,03 EUR verbleibt. Die
Zahlungen durch die Beklagte zu 2) sind aufgrund des ausdrücklich geäußerten
Parteiwillens allein auf den Klageantrag zu 1.) anzurechnen.
Der mit dem Klageantrag zu 2.) geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nach
§ 11 Abs. 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB in Höhe von 200,00 EUR ist nicht begründet.
Die Klägerin hat ausweislich des ärztlichen Attestes (s. S. 27 d. A.) eine Zerrung des
rechten Daumens, also eine Körperverletzung, erlitten. Der Anspruch ist jedoch, wie
von den Beklagten vorgetragen, aufgrund einer nicht überschrittenen
Geringfügigkeitsgrenze nicht gegeben. Der Anspruch auf Schmerzensgeld kann bei
unbedeutenden Eingriffen entfallen, wenn das Wohlbefinden des Verletzten nur
unerheblich und kurzfristig beeinträchtigt worden ist (BGH NJW 1993, 2173). Dies ist
immer dann der Fall, wenn der Geschädigte in kaum erkennbarer Weise in seiner
Lebensführung behindert wird. So liegt es auch hier. Von der ärztlichen Attestierung
einer Zerrung kann nicht reflexartig auf die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes
geschlossen werden, da die Beeinträchtigung der Lebensführung als weiteres
Merkmal substantiiert darzulegen ist. Diesem Erfordernis ist die Klägerin nicht
nachgekommen.
Der mit dem Klageantrag zu 3.) geltend gemachte Ersatz der außergerichtlichen
Rechtsverfolgungskosten ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB und ist, mangels
Bestreiten durch die Beklagten, in voller Höhe von 571,44 EUR begründet.
Die Zinsforderung der Klägerin zu den Klageanträgen zu 1.) und 3.) ergeben sich aus
§§ 280 Abs. 1, 2, 286 i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB.
11.
Da ein Anspruch gegen die Beklagte zu 1) besteht, ist auch die Beklagte zu 2) als
Haftpflichtversichererin des von der Beklagten zu 1) geführten Pkws zur Regulierung
des Schadens nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG verpflichtet. Die
Beklagten haften nach § 115 Abs. 1 S. 4 VVG im Außenverhältnis als
Gesamtschuldner.
111.
Hinsichtlich der Kostenentscheidung sind zunächst der erledigte Teil und der streitige
Teil des Rechtsstreits gesondert zu betrachten und im Anschluss ist eine
Gesamtquote zu bilden.
Ausgehend von einem ursprünglichen Streitwert von 3.988,07 EUR macht der
erledigte Teil, die Zahlung von 729,09 EUR, 18% des Streitwertes aus, der streitige
Teil 82%.
Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben,
entspricht die tenorierte Kostenfolge unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund
Streitstandes billigem Ermessen.
Nach den vorstehenden Ausführungen bestehen an der ursprünglichen Berechtigung
der Klageforderung in der Hauptsache keine Bedenken. Es war daher davon
auszugehen, dass die beklagte Partei im Wesentlichen unterlegen wäre. Die
beklagte Partei hat den Anspruch zudem insoweit erfüllt. Das ist ohne anderweitige
Erklärung oder Vorbehalt geschehen. Deshalb ist die Erfüllung als Teil-Anerkenntnis
der Klageforderung zu werten und der beklagten Partei sind die Kosten des
Verfahrens insoweit aufzuerlegen.
Die Kostenverteilung bzgl. des streitigen Teils des Rechtsstreits richtet sich nach §
92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO. Nach der teilweise übereinstimmenden
Erledigungserklärung machte die Klägerin noch eine Hauptforderung in Höhe von
insgesamt 3.258,98 EUR geltend; sie erhält jedoch lediglich 2.757,03 EUR. Daraus
ergibt sich, dass die Beklagten die Kosten des Rechtsstreits bzgl. des streitigen
Teiles zu 85% tragen, die Klägerin zu 15%.
Insgesamt ergibt sich daraus eine Kostenquote von 88% auf Seiten der Beklagten
(100%x18% bzgl. des für erledigt erklärten Teils + 85%x82% bzgl. des streitigen
Teils) und 12% auf Seiten der Klägerin.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711,
709 S. 1, 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 3.988,07 EUR bis zum 01.02.2017 und sodann auf
3.258,98 EUR festgesetzt.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Lütke