In der Zeitschrift für Schadenrecht (zfs) 2009, S. 2, findet sich ein Beitrag von Rechtsanwalt Eric Lüthe aus Köln, seines Zeichens “Mitarbeiter der Generali Deutschland Schadenmanagement GmbH, Abteilung Prozess/Regress”. Der Titel lautet großspurig “Die Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten – Eine Bestandsaufnahme”.
Es ist zwar lobenswert und praktisch geboten, die Fragen im Zusammenhang mit der Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten auch einmal von Versicherungsseite aus beleuchtet zu sehen. Es ist aber erstaunlich, dass ausgerechnet die zfs einen solch einseitigen Beitrag unkommentiert veröffentlicht, der vor einseitigen und z.T. falschen rechtlichen und tatsächlichen Auffassungen nur so strotzt. Der Autor kommt natürlich, wen wundert es, insbesondere zu folgendem Ergebnis:
“Der Schwacke-Mietpreisspiegel ist als Schätzgrundlage ungeeignet, da er auf einer nicht wissenschaftlichen Erhebungsmethode beruht und nicht ansatzweise die tatsächlichen Marktverhältnisse darstellt. Vielmehr ist die Fraunhofer-Liste die einzig verwertbare Schätzgrundlage, da nur diese wissenschaftlich korrekt (nämlich durch anonyme Befragung und Internet-Recherche) erhoben wurde und die Marktsituation widerspiegelt”.
Der Autor interpretiert die aktuelle Rechtsprechung des BGH (IV ZR 308/07, Urteil vom 14.10.2008) völlig falsch im Sinne der Versicherungswirtschaft. Mit der Fraunhofer-Untersuchung seien nunmehr konkrete Angriffe auf die Schwacke-Liste als Schätzgrundlage möglich. Das ist Wunschdenken. Der BGH hat nämlich nicht entschieden, dass Schwacke oder Fraunhofer “allein seligmachend”, also die eine oder die andere Methode brauchbar oder unbrauchbar ist. Die Frage wird er so nie entscheiden. Er hat es nur gebilligt, dass ein Gericht die eine oder andere Liste als Schätzgrundlage zugrundelegt, solange diese sich an den Anforderungen der Rechtsprechung orientieren (keine pauschalen Angriffe). Die Fraunhofer-Liste als solche ermöglicht keine konkreten Angriffe. Hierzu muss der Schädiger darlegen, dass dem Geschädigten zum Unfallzeitpunkt (der nunmal nicht mit dem Zeitpunk der Erhebung der Fraunhofer-Liste übereinstimmen muss) möglich war, ein Fahrzeug zum Normaltarif anzumieten. Leider erlebt man es in diesem Mietwagenprozessen nur allzuoft, dass stolz Ausdrucke von Internetangeboten der Firmen sixt usw. vorgelegt werden. Diese beziehen sich aber nie auf das Unfalldatum. Wie ich letztens in einer gerichtlichen Beweisaufnahme erleben durfte, wird der fragende Kunde bei großen Mietwagenunternehmen auch heute noch bevormundet, was die Preisgestaltung angeht. Gibt er an, einen Unfall gehabt zu haben, wird ihm das Fahrzeug kommentarlos zur Verfügung gestellt. “Den Rest regeln wir mit der Versicherung”. Wie soll bei dieser Vorgehensweise der normale Geschädigte einen Normaltarif erfragen/erkennen ?
In dem Artikel wird den bösen Mietwagenunternehmen die Verantwortlichkeit für die sog. Unfallersatztarife zugeschoben. Wer die wirklichen historischen Hintergründe kennt (z.B. in dieser Broschüre dargelegt), weiß, dass die Versicherungswirtschaft ihren Teil zur Entstehung beigetragen hat.
Der Autor geht auch völlig an der fundierten Kritik an der Fraunhofer-Liste (z.B.: Otting, SVR 2008 Heft 12, S. 444 “Die Fraunhofer-“Marktpreisliste Mietwagen Deutschland 2008- Taugliches Instrument zur schadenrechtlichen Marktpreisermittlung?”) vorbei. Die Vielzahl der instanzgerichtlichen Entscheidungen, wie sie bei Captain-HUK und dem BAV veröffentlicht werden, sprechen denn auch eine deutlich andere Sprache.
Es ist mir von der Logik her schon nicht möglich nachzuvollziehen, wieso mit einer (von der Versicherungswirtschaft gesponsorten) Untersuchung, die ihrerseits gravierende statistische Mängel aufweist, angebliche methodische/statistische Mängel bei der Schwacke-Liste nachgewiesen werden sollen.
Der Autor will auch davor warnen, dass nunmehr über die Erhöhung der Nebenkosten (Vollkaskoversicherung, Zustell/Abholkosten, Winterbereifung) versucht wird, die korrigierten Tarife wieder auf das Unfallersatztarifniveau anzuheben. Angeblich sei der Zuschlag für die Vollkaskoversicherung in die Fraunhofer-Liste eingearbeitet. Das ist nur halb richtig, denn die dort eingearbeiteten Vollkaskoversicherungen sehen für den Schadensfall entgegen der Rechtsprechung des BGH eine hohe Selbstbeteiligung vor. Da ein hoher Anteil von Mietfahrzeugen über Werkstätten vor Ort zur Verfügung gestellt würden, sei der Anfall von Zustellkosten zu überprüfen. Und wie – bitteschön – gelangen die Mietfahrzeuge zur Werkstatt ? Es ist mir nicht bekannt, dass die Werkstätten ständig eine Vielzahl von Mietfahrzeugen präsent halten. Und ob eine Mietwagenunternehmen verpflichtet ist, die Mietwagen mit Winterbereifung zur Verfügung zu stellen, ist fraglich. Die vom Autor angenommene gesetzliche Pflicht zur Winterbereifung gibt es nicht.
Die Versicherungswirtschaft hat durch eine Vielzahl von Entscheidungen des BGH eine – das muss man zugeben – hervorragende Lobbyarbeit geleistet. Mit etwas Unverständnis sehe ich es, dass eine Zeitschrift wie die zfS derartiger Lobbyarbeit auch noch Vorschub leistet.
Update 24.04.2009: Der vorgenannte Beitrag hat nun – ebenfalls in der zfs – die passende Antwort erhalten. In der Ausgabe 4/2009 (S. 183) übt RAin und FAin für Verkehrsrecht Jana Braun berechtigte Kritik an dem Aufsatz von Lüthe. Sie arbeitet sauber das dreistufige Prüfungssystem des BGH heraus und legt dann noch einmal detailliert die Kritikpunkte an der Fraunhofer Liste dar (wie es zuvor bereits Otting, in SVR 2008, S. 444, getan hat). Das Fazit des Aufsatzes kann nur unterstrichen werden:
“Nach alledem wird die tatsächliche Situation entstellt, wenn man Glauben machen will, mit Einführung des “Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland” sei nun endlich eine geeignete Schätzgrundlage gefunden, die der Bestimmung des Normaltarifs zugrunde gelegt werden kann.”