OLG Düsseldorf: Nutzungsausfall für 334 Tage

Das OLG Düsseldorf hat seine geschädigtenfreundliche Rechtsprechung fortgesetzt, dass ein Unfallgeschädigter auch über einen längeren Zeitraum Nutzungsausfall verlangen kann, wenn er seine fehlende finanziellen Möglichkeiten zur Reparaturfinanzierung oder Ersatzbeschaffung dargelegt hat. Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 17.11.2009, Az. I-1 U 14/09, eine Entscheidung des LG Wuppertal bestätigt, mit der dem Geschädigten für 334 Tage Nutzungsausfall zugebilligt wurden. In dem Urteil werden zum Regulierungsverhalten der Versicherung und zu ihrem Sachvortrag im Rechtsstreit schallende Ohrfeigen verteilt:

1. Zur Begründung, dass für den gesamten Zeitraum die nach der Tabelle Sanden/Danner/Küppersbusch ermittelte Pauschale und nicht etwa Vorhaltekosten zu zahlen sind:

“Es findet sich kein schadensrechtlicher Grund, für den darüber hinausgehenden Zeitraum eine andere Berechnungsmethode zu wählen bzw. die Höhe des Nutzungsausfallschadens anders zu bewerten. Der dem Geschädigten entstehende Nutzungsfall ist für die gesamte Zeit des Unfalls gleichbleibend.”

2. Der verlangte Nutzungsausfall stünde in keinem Verhältnis zum Fahrzeugwert:

“…auf die Relation des Nutzungsausfallschadens zu dem Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeuges kommt es hier nicht an. Entscheidend ist allein der Gebrauchsvorteil, welchen der Geschädigte aus der Nutzung des Fahrzeuges hätte ziehen können.”

und weiter

“Dass letztlich der Nutzungsausfallschaden die zugesprochene Höhe erreicht hat, ist allein von der beklagten Versicherung zu vertreten. Sie hatte es in der Hand, durch eine entsprechende Vorschussleistung den – nach seinen Angaben – finanziell unvermögenden Kläger in die Lage zu versetzen, ein Ersatzfahrzeug zu beschaffen. Hierzu hätte ein Betrag von 1.500 € genügt.”

3. Das OLG führt weiter aus, dass der Geschädigte nur zur Mitteilung verpflichtet war, dass er finanziell nicht zur Ersatzbeschaffung in der Lage sei.

“Es ist insofern das Risiko der ersatzpflichtigen Versicherung, wie sie mit dem Risiko umgeht, auf einen (sich im nachfolgenden Rechtsstreit dann erweislich) finanziell unvermögenden Geschädigten zu treffen. Der Geschädigte hat jedenfalls Anspruch auf sofortigen Ersatz. Insofern hat der Schädiger auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert.”

und weiter

“Soweit die Beklagten weiter einwenden, dass es letztlich nicht sein könne, dass ein Geschädigter mit schlichtem Zuwarten über ein Jahr eine ungewöhnlich hohe Nutzungsausfallentschädigung erziele, verkennt sie, dass sie über das finanzielle Unvermögen des Klägers bereits durch dessen Schreiben vom 10.01.2007 informiert war. Damit war sie aber hinreichend über das Risiko einer Schadensvergrößerung bei verzögerter Regulierung informiert; sie hätte dieses Risiko durch geeignete Maßnahmen ohne weiteres begrenzen können.”

Hier der Volltext der Entscheidung:

I-1 U 14/09
3 O 111/08
LG Wuppertal

OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am 17.11.2009
Schmitz, Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit
1.des Herrn xxx

2.der xxx Versicherungs AG,

Beklagte und Berufungskläger,

-Prozessbevollmächtigte:    Rechtsanwälte xxx

g e g e n

Herrn xxx

Kläger und Berufungsbeklagten,

-Prozessbevollmächtigter:    Rechtsanwalt xxx–

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Scholten, den Richter am Oberlandesgericht Ernst und die Richterin am Landgericht Dr. Oudijk

für   R e c h t   erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Dezember 2008 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

I.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Beklagten zum Ersatz von Nutzungsausfall in dem beantragten Umfang verurteilt. Die mit der Beru-fung erhobenen Rügen rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Im Einzelnen ist noch folgendes auszuführen:

1.
Das Landgericht hat die Höhe des Nutzungsausfalls zutreffend auf der Grundlage der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch auf 38 €/pro Tag geschätzt; die Rückstufung um 2 Gruppen ist angemessen und ausreichend. Der Kläger muss sich insoweit nicht auf geringere Vorhaltekosten verweisen lassen (§ 287 ZPO).

a.
Nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. etwa Beschluss v. 02.07.2008,
1 W 24/08; Urteil v. 15.10.2007, 1 U 52/07) ist die Heranziehung der durchgehend als praktikabel und angemessen anerkannten Tabelle von
Sanden/Danner/Küppersbusch auch in Fällen geeignet, in denen – wie hier – der Zeitraum, für den Ersatz des Nutzungsausfalls verlangt wird, über den Zeitraum hin-ausgeht, in dem üblicherweise Ersatzfahrzeuge angemietet werden. Es findet sich kein schadensrechtlicher Grund, für den darüber hinausgehenden Zeitraum eine andere Berechnungsmethode zu wählen bzw. die Höhe des Nutzungsausfallschadens anders zu bewerten. Der dem Geschädigten entstehende Nutzungsfall ist für die gesamte Zeit des Unfalls gleichbleibend.

b.
Soweit die Beklagten rügen, dass die so bemessene Nutzungsausfallentschädi-gung, verglichen mit dem niedrigen Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeuges unverhältnismäßig hoch sei und damit der Zuspruch zu einer übermäßigen Bereicherung des Klägers führe, ist das unzutreffend. Denn auf die Relation des Nutzungsausfallschadens zu dem Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeuges kommt es hier nicht an. Entscheidend ist allein der Gebrauchsvorteil, welchen der Geschädigte aus der Nutzung des Fahrzeuges hätte ziehen können. Nach den vorliegenden Unterlagen (Gutachten und Fotos) ist nicht ersichtlich, dass das Fahrzeug des Klägers nicht mehr dem in der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch zugrunde gelegten Nutzungswert von täglich 38 € entsprochen hat. Insofern ist davon auszugehen, dass der Nutzungswert des Fahrzeugs des Klägers diesem Tabellenwert entsprach.

Dass letztlich der Nutzungsausfallschaden die zugesprochene Höhe erreicht hat, ist allein von der beklagten Versicherung zu vertreten. Sie hatte es in der Hand, durch eine entsprechende Vorschussleistung den – nach seinen Angaben – finanziell unvermögenden Kläger in die Lage zu versetzen, ein Ersatzfahrzeug zu beschaffen. Hierzu hätte ein Betrag von 1.500 € genügt.

2.
Eine Verletzung seiner Schadensminderungspflicht kann dem Kläger nicht vorgehalten werden.

a.
Der Kläger hat unstreitig mit Schreiben vom 10. Januar 2007 die beklagte Versiche-rung schriftlich darüber informiert, zur Ersatzbeschaffung finanziell nicht in der Lage zu sein. Zu weitergehenden Angaben war er – jedenfalls von sich aus – nicht verpflichtet. Es ist insofern das Risiko der ersatzpflichtigen Versicherung, wie sie mit dem Risiko umgeht, auf einen (sich im nachfolgenden Rechtsstreit dann erweislich) finanziell unvermögenden Geschädigten zu treffen. Der Geschädigte hat jedenfalls Anspruch auf sofortigen Ersatz. Insofern hat der Schädiger auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert. Insofern hat das Landgericht auch zutreffend festgestellt, dass der Kläger tatsächlich nicht in der Lage war, ohne die Ersatzleistung der beklagten Versicherung die Ersatzbeschaffung vorzunehmen. Angesichts seiner von ihm offengelegten finanziellen Verhältnisse war er zudem nicht verpflichtet bzw. in der Lage, in Vorlage zu treten oder einen Kredit aufzunehmen. Eine solche Pflicht, die ohnehin nur unter besonderen Umständen angenommen werden kann (Senat, U. v. 29.10.2001, 1 U 211/00), entfiel hier bereits deshalb, weil der Kläger ein lediglich geringes freies Einkommen monatlich besaß; ihm war – ungeachtet der Möglichkeit einer weiteren Kreditaufnahme – eine solche Kreditaufnahme schon nicht zumutbar.

Soweit die Beklagten weiter einwenden, dass es letztlich nicht sein könne, dass ein Geschädigter mit schlichtem Zuwarten über ein Jahr eine ungewöhnlich hohe Nut-zungsausfallentschädigung erziele, verkennt sie, dass sie über das finanzielle Un-vermögen des Klägers bereits durch dessen Schreiben vom 10.01.2007 informiert war. Damit war sie aber hinreichend über das Risiko einer Schadensvergrößerung bei verzögerter Regulierung informiert; sie hätte dieses Risiko durch geeignete Maß-nahmen ohne weiteres begrenzen können.

b.
Soweit die Beklagten weiter bestreiten, dass sich der Sohn des Klägers mit der Be-klagten zu 2. telefonisch mehrfach in Verbindung gesetzt und darauf hingewiesen habe, auf die Überweisung des Wiederbeschaffungswertes angewiesen zu sein, da derartige Angaben jedenfalls nicht protokolliert worden seien, kommt es darauf nicht an. Selbst wenn diese Anrufe – entgegen den Feststellungen des Landgerichts – nicht stattgefunden haben, so war doch die Beklagte zu 2. durch das Schreiben des Klägers vom 10.01.2007 bereits hinlänglich informiert. Der Kläger ist im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht grundsätzlich nicht darauf verwiesen, solche bereits erteilten Hinweise zu wiederholen oder zu verstärken.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§  97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen, weil die Voraussetzungen des
§ 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.692 € festgesetzt.

Dr. Scholten                Dr. Oudijk                Ernst

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