Mehrwertsteuer bei Ersatzbeschaffung statt Reparatur

In seinem Urteil vom 28.01.2009, Az. 11 C 145/08  spricht das AG Tecklenburg  dem Geschädigten den Ersatz der Mehrwertsteuer aus einer Ersatzbeschaffung zu, selbst wenn er auf Reparaturkostenbasis abgerechnet hat. Die gegnerische Versicherung hatte vor allem eingewandt, dass eine unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung erfolge. Damit hatte sie keinen Erfolg.

Das Urteil wurde mir zur Verfügung gestellt von:

Frauke Helmich, Fachanwältin für Verkehrsrecht, Rechtsanwältin
Wilhelmshöhe 1a, 49492 Westerkappeln, Tel.: 05404-980500, Fax: 05404-9805011
www.einfach-recht-bekommen.de

und kann unten im Volltext gelesen werden. Die Entscheidung gibt es hier als PDF-Dokument.

Update 29.10.2009:

Das AG Medebach (Urteil vom 03.09.2009, Az. 3 C 329/08, VRR 2009, 362) ist der Auffassung, dass es sich nicht um die unzulässige Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung handelt, wenn bei reparaturwürdigem Schaden ein teureres Fahrzeug angeschafft wird und dafür die fiktiven Reparaturkosten und die konkret angefallene MwSt aus der Ersatzbeschaffung in der Höhe verlangt werden, wie sie für die Reparaturkosten angefallen wäre.

Update 28.10.2010:

Auch das LG Arnsberg, Urteil vom 30.03.2010, 5 S 114/09, ist der Auffassung, dass die Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten verlangt werden kann, wenn  statt Reparatur ein Ersatzfahrzeug beschafft werden kann.Das Gericht sieht keine unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung.

Quelle: ADAJUR-Newsletter vom 26.10.2010

Update 21.12.2010:

Auch das AG Aschaffenburg kommt im Urteil vom 30.07.2010, Az. 112 C 459/10 (DV 2010, S. 140) zu diesem Ergebnis.

 


11 C 145/08

Verkündet am 28.01.2009

Amtsgericht Tecklenburg

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

in dem Rechtsstreit

Klägers;
Rechtsanwalt Stiegemeyer, Wilhelmshöhe 1 a, 49492 Westerkappeln,

Prozessbevollmächtigte:

gegen

Beklagten,

hat das Amtsgericht Tecklenburg

im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO

am 28.01.2009

durch die Richterin am Amtsgericht Heuer

für Recht erkannt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 814,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-
Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.07.2008 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von dem Beklagten restlichen Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 31.05.2008.

Der Kläger ist Halter und Eigentümer des Fahrzeuges Pkw Audi A6 mit dem amtlichen Kennzeichen ST-. Der Beklagte ist Haftpflichtversicherer des unfallgegnerischen Traktors mit dem amtlichen Kennzeichen ST.
Die hundertprozentige Haftung des Beklagten dem Grunde nach aus dem Verkehrsunfall vom 31.05.2008 ist zwischen den Parteien unstreitig.
Bei dem streitgegenständlichen Unfall wurde des Fahrzeug des Klägers erheblich beschädigt. Der von dem Beklagten in Auftrag gegebene Sachverständige ermittelte folgenden Schaden:

Reparaturkosten netto: 4.285,07 €
Reparaturkosten brutto: 5.099,23 €.

Mit Schreiben vom 11.06.2008 wurde der Schaden gegenüber dem Beklagten beziffert.

Hierbei wurden zunächst die Reparaturkosten netto mit einem Betrag von 4.285,07 € geltend gemacht. Der Beklagte zahlte daraufhin die Nettoreparaturkosten an den Kläger. Der Kläger ließ sein Fahrzeug nicht reparieren, sondern kaufte ein Ersatzfahrzeug zu einem Kaufpreis von 10.500,00 € brutto (inklusive 1.676,47 € Mehrwertsteuer; Rechnung vom 25.06.2008 vgl. Bl. 20 d.A.).

Mit Schreiben vom 26.06.2008 bezifferte der Kläger sodann durch seine Bevollmächtigten den weiteren Schaden, mit welchem nunmehr der Betrag der Bruttoreparaturkosten aus dem Sachverständigengutachten gefordert wurde.

Mit Schreiben vom 02.07.2008 (Bl. 23 d.A.) lehnte der Beklagte die Zahlung von Mehrwertsteuer ab.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe trotz Reparaturwürdigkeit des beschädigten Fahrzeuges das Recht, sich statt der Reparatur der beschädigten Sache eine Ersatzsache zu beschaffen. Soweit bei dieser Restitution Umsatzsteuer anfalle, sei diese auch zu erstatten. Die Umsatzsteuer werde bis zur Höhe der Umsatzsteuer auf die Nettoreparaturkosten geschuldet.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 814,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2008 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Kläger nehme eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensersatzberechnung vor, wenn er das reparaturwürdige Fahrzeug nicht reparieren lässt, sondern ein Ersatzfahrzeug anschafft und das Unfallfahrzeug zu einem Restwert veräußert. Diese Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung sei unzulässig. Er ist weiterhin der Auffassung, dem Geschädigten stünden zwar grundsätzlich zwei Wege zur Wiederherstellung des früheren Zustandes zur Verfügung, nämlich das Fahrzeug reparieren zu lassen oder ein neues Fahrzeug anzuschaffen, er müsse sich jedoch für die wirtschaftlich günstigere Alternative entscheiden. Dies sei im vorliegenden Fall die Reparatur des Fahrzeuges gewesen. Ein Geschädigter, der gleichwohl eine Ersatzbeschaffung vornehme, statt das Fahrzeug reparieren zu lassen, könne nicht auf Ersatzbeschaffungsbasis abrechnen. Da andererseits eine Reparatur tatsächlich aber nicht vorgenommen worden sei, könne er nur die Nettoreparaturkosten beanspruchen.

Der Beklagte behauptet weiterhin, der beschädigte Pkw des Klägers sei veräußert worden und hierbei sei ein Restwert erzielt worden, was bei der gewünschten Abrechnung des Klägers zu einer Bereicherung führe. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges habe differenzbesteuert 8.900,00 € betragen. Da der Restwert des Fahrzeuges bei mindestens 5.200,00 € gelegen habe, belaufe sich der Wiederbeschaffungsaufwand auf 3.700,00 €. Der Kläger habe somit durch die Zahlung der Nettoreparaturkosten bereits mehr erhalten, als ihm tatsächlich an Schaden entstanden sei. Lediglich unter dem Gesichtspunkt der Dispositionsfreiheit sei bei einer rein fiktiven Abrechnung eine solche Bereicherung noch hinzunehmen. Dies könne aber nicht gelten, wenn der wirtschaftlich vernünftigere Weg der Ersatzbeschaffung gewählt werde und sodann zusätzliche Ansprüche (hier: konkrete Mehrwertsteuer) gestellt würden. Eine solche Entscheidung werde nur unter dem Gesichtspunktes des Integritätsinteresses in den begrenzten Fällen der Reparatur trotz Unwirtschaftlichkeit honoriert.

Auf die von Beklagtenseite vorgetragenen Beträge repliziert der Kläger wie folgt:

Der Kläger behauptet, er habe das beschädigte Fahrzeug unrepariert zu einem Verkaufspreis von 4.000,00 € weiter veräußert. Das Fahrzeug sei verkauft worden, lange bevor das von Beklagtenseite aufgeführte Restwertangebot vorgelegen habe. Selbst wenn man der Ansicht des Beklagten folgen würde, sei noch ein zu zahlender Restbetrag in Höhe von 614,93 € festzustellen. Der Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert betrage dann 4.900,00 €, von denen der Beklagte lediglich einen Betrag in Höhe von 4.285,07 € gezahlt habe. Zumindest die Differenz sei dann noch zu erstatten. Im Übrigen ist der Kläger der Auffassung, er müsse sich nicht auf eine Totalschadenabrechnung verweisen lassen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze, insbesondere auch auf den Schriftsatz vom 05.12.2008 (Bl. 75 – 77 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 28.11.2008, eingegangen bei Gericht am 29.11.2008, und der Beklagte mit Schriftsatz vom 05.12.2008. eingegangen am 06.12.2008, einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Kläger kann von dem Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeuges anteilige Mehrwertsteuer in Höhe von 814,16 € fordern, § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 StVG, 3 Ziff. 1 PfIVG.

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Beklagte dem Kläger den vollen erstattungsfähigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 31.05.2008 zu ersetzen hat. Dieser fasst nach Überzeugung des Gerichts hier auch die wenige Wochen nach dem Unfall belegten Mehrwertsteuer, die bei Erwerb eines höherwertigen Ersatzfahrzeuges angefallen ist.

Rechnet ein Geschädigter zunächst nach den fiktiven Reparaturkosten (netto) ab und entschließt sich dann, anstatt einer tatsächlichen Reparatur Ersatz zu beschaffen, indem er ein höherwertiges Fahrzeug anschafft, so stellt dies nach Überzeugung des Gerichts keine unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung dar, wenn die bei dieser Ersatzbeschaffung angefallene Mehrwertsteuer bis zu der Höhe, wie sie bei einer Reparatur angefallen wäre, geltend gemacht wird.

Gemäß § 249 Abs. 1 BGB ist bei Beschädigung einer Sache der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre („Naturalrestitution”). Dem Geschädigten steht es dabei frei, entweder die – reparaturwürdige – Sache tatsächlich reparieren zu lassen oder eine gleichwertige Ersatzsache anzuschaffen (vg. Palandt 67. Aufl. § 249 Rdnr. 28). Ebenso wie ein Geschädigter, der zunächst nach den Nettoreparaturkosten abrechnet, sodann zeitnah reparieren lässt und dann die Mehrwertsteuer für die erfolgte Reparatur noch verlangen kann, kann derjenige noch Ersatz tatsächlich angefallener Mehrwertsteuer verlangen, der statt der Reparatur die Ersatzbeschaffung wählt. Hierbei ist jedoch die Ersatzpflicht durch die Höhe der im Falle einer Reparatur angefallenen Mehrwertsteuer begrenzt, wenn wie im vorliegenden Fall, ein höherwertiges Fahrzeug angeschafft wird (vgl. Lemcke in: r+s 2005,176).

Soweit der Beklagte seine Auffassung auf eine Entscheidung des BGH vom 15.02.2005, veröffentlicht in VersR 2005, 665 ff stützt, steht nach Überzeugung des Gerichts diese höchstrichterliche Entscheidung nicht entgegen, da in dem vom BGH entschiedenen Fall gerade keine vollständige Restitution durchgeführt worden war. In dem hierzu entscheidenden Fall liegt hingegen eine vollständige Restitution durch Ersatzbeschaffung einer höherwertigen Sache vor. Das Schadensgutachten über die Reparaturkosten, die nicht mehr als Reparaturkosten angefallen sind, beschränkt indes den Ersatzanspruch für die Ersatzbeschaffung in der Höhe. Da die tatsächlich angefallene Mehrwertsteuer, die der Kläger mit Vorlage der Rechnung des Autohauses Haster Mühle vom 25.06.2008 (Bl. 20 d.A.) belegt hat, höher lag, als sie bei Reparatur des Fahrzeuges gelegen hätten, ist für die Mehrwertsteuer wiederum eine Beschränkung in der Höhe durch das Schadensgutachten über die Reparaturkosten vorzunehmen. Diesen Betrag verlangt der Kläger mit der Klage.
Das Gericht teilt nicht die Auffassung des Beklagten, dass bei Wahl der Ersatzbeschaffung statt einer Reparatur sodann unter Zugrundelegung der Grundsätze über eine Totalschadensabrechnung die Abrechnung erfolgen muss, obwohl tatsächlich kein Totalschaden vorgelegen hat. Andernfalls wäre die Wahlmöglichkeit eines Geschädigten zwischen Reparatur und Ersatzbeschaffung ausgehebelt. Dass der Gesetzgeber dieses Ziel mit der Reform des Schadensrechts verfolgte, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Insbesondere erscheint es gerechtfertigt, das Integritätsinteresse, welches bei Reparaturen bis zur Grenze von 130 % des Wiederbeschaffungswertes herangezogen wird, nicht über das Interesse eines Geschädigten daran zu stellen, einen unfallfreien Wagen zu fahren. Daher teilt das Gericht die in der Klageerwiderung geäußerte Auffassung nicht, der Geschädigte müsse sich bei der Wahl zwischen Reparatur und Ersatzbeschaffung für die wirtschaftlich günstigere Alternative entscheiden.

Aus den v.g. Gründen war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1   BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91  ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Heuer
Ausgefertigt
(Köhler)
Geschäftsstelle des Amtsgerichts

Ein Kommentar

  1. Hmm, interessant!
    Frage mich gerade in einem aktuellen Fall, wie das AG Medebach entschieden hätte, wenn die Reparaturkosten (zzgl. Minderwert) den Wiederbeschaffungsaufwand (WBW abzgl. RW) überstiegen hätten? Oder der Kläger das teurere Ersatzfahrzeug auf dem Privatmarkt (ohne Ausweis der MWSt.) gekauft hätte?

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