Es ist immer wieder schön, wenn einem neue Verteidigungsstrategien aufgedrängt werden….
Dem Mandant wird ein Abstandsverstoß vorgeworfen. In ca. 2 Wochen ist Hauptverhandlungstermin. Vor kurzem habe ich Akteneinsicht beantragt. Heute ein Telefonanruf:
“AG X, Herr Y, Guten Tag.”
Ich: “Guten Tag.”
“Sie haben Akteneinsicht beantragt. Das geht nicht.”
Ich: “Warum nicht?”
“Der Termin ist doch schon in 2 Wochen”.
Ich: “Aha.”
(Tonfall jetzt leicht vorwurfsvoll) “Und: Sie haben noch keine Vollmacht vorgelegt.”
Ich: “Ja und? Muss ich doch nicht!”
“Doch, wir sind doch in einem Strafverfahren!”
Ich (erstaunt) :”Nein, sind wir nicht!”
“Ach ja, aber auch im Bußgeldverfahren ist das so!”
Ich: “Können Sie mir das bitte in einem Dreizeiler mitteilen?”
(Unheil ahnend): “Kann ich machen, da können Sie sich auch drüber beschweren, aber das gibt es bei mir nicht. Warum wollen Sie denn überhaupt die Akte sehen? Das Video habe ich nicht in der Akte!”
Ich: “Das mache ich immer so.”
“Ja also, ich teile Ihnen das jetzt mit, auf Wiederhören.”
Ich: “Auf Wiederhören”.
Update 22.10.2015:
…und so ging es dann weiter:
Das Amtsgericht:
“Amtsgericht B
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren gegen
Meier wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht B durch den Direktor des Amtsgerichts
am 12. Oktober 2015
beschlossen:
Der Antrag des Rechtsanwaltes Frese vom 9.10.2015 auf Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
Gründe:
Der Antrag ist gemäß dem §§ 46 OWiG, 137 (1) S2, 147 StPO nicht begründet.
Über § 46 OWiG sind die Vorschriften der StPO auch im Bußgeldverfahren anwendbar. Die Akteneinsicht war zu verweigern, da im vorliegenden Verfahren mangels Vorlage einer Bevollmächtigung nicht eindeutig geklärt ist, wer Verteidiger ist. Gemäß § 137 StPO kann ein Betroffener lediglich bis zu drei Rechtsanwälte als Verteidiger haben. Der Antrag auf Akteneinsicht ist jedoch im Namen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen erreicht worden.
Ein schriftlicher Nachweis über die Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes ist nicht bei den Akten (Meyer–Großner StPO., 48. Aufl., § 147 Rdnr. 9 “der Wahlverteidiger, der seine Bevollmächtigung nachweisen muss,…).”
Daraufhin die Verteidigung:
“wird hiermit Herr Richter wegen
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Gleichzeitig lege ich hiermit gegen den Beschluss vom 12.10.2015
Beschwerde,
hilfsweise Gegenvorstellung
ein.
Außerdem lege ich Dienstaufsichtsbeschwerde ein.
Hilfsweise beantrage ich
Aussetzung der Hauptverhandlung gem. § 145 Abs. 3 StPO.
Begründung:
Der Betroffene hat über seinen Verteidiger am 09.10.2015 und damit 2 Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin Akteneinsicht beantragt. Dieser Antrag wurde nach einem vorangegangenen Telefonat mit Beschluss vom 12.10.2015, hier per Briefpost am 16.10.2015 eingegangen, abgelehnt.
Bereits im Telefonat habe ich darauf hingewiesen, dass es der Vorlage einer schriftlichen Vollmachtsurkunde nicht bedarf. Nach allgemeiner Ansicht ist die Beauftragung eines Wahlverteidigers formlos möglich. Für den Nachweis der Beauftragung soll regelmäßig die Anzeige des Verteidigers genügen. Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde soll verlangt werden können, wenn Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen (vgl. Wohlers, in: Systematischer Kommentar zur StPO, § 137 Rn. 8 <Februar 2004>; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, Vor § 137 Rn. 9). Zweifel hat das Gericht vorliegend nicht geäußert.
Dem Betroffenen ist Akteneinsicht zu gewähren. Ohne Akteneinsicht kann er sich gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht verteidigen. Das Akteneinsichtsrecht ist ein verfassungsmäßig verbrieftes Recht. Ohne gewährte Akteneinsicht wird gegen den Grundsatz des „fair trials“ massiv verstoßen. Auf die Entscheidung des BVerfG vom 14.09.2011 (2 BvR 449/11) darf verwiesen werden:
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/11/2-bvr-449-11.php
Die Erwägungen des Gerichts im Beschluss sind in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht derart fehlgehend, dass nicht mehr von einer Unbefangenheit des Richters ausgegangen werden kann. Der Unterzeichner hat sich unter konkreter Namensnennung am 23.03.2015 gegenüber der Bußgeldbehörde bestellt. Eine Vollmachtsurkunde wurde nicht vorgelegt und ist auch nicht vorzulegen.
Falsch ist die Annahme, der Akteneinsichtsantrag sei „im Namen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen“ eingereicht worden. Tatsächlich lautet die Formulierung
„…beantrage ich Akteneinsicht.“
Dieses Schreiben ist allein und erneut unter meiner Namensnennung unterschrieben worden.
Ein Verteidiger muss in einem Bußgeldverfahren gerade keine schriftliche Vollmachtsurkunde vorlegen. Seine Bevollmächtigung ergibt sich aus dem Umstand, dass er von seinem Mandanten mündlich beauftragt wurde. Offensichtlich ist der Richter nicht in der Lage, zwischen einer Bevollmächtigung – die im übrigen anwaltlich versichert wurde! – und einer schriftlichen Vollmachtsurkunde zu unterscheiden.
Im Hinblick auf die massiven Verstöße, mit denen das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen hier grob verweigert wird, besteht bereits die Besorgnis der Befangenheit.
Ich wiederhole meinen Antrag auf
Akteneinsicht.
Selbst wenn das Befangenheitsgesuch keinen Erfolg haben sollte, kann der morgige Termin nicht durchgeführt werden, da ein Aussetzungsgrund besteht Dementsprechend ist zunächst über das gestellte Akteneinsichtsgesuch zu entscheiden und der Verteidigung Akteneinsicht zu gewähren. Die Verteidigung muss genügend Zeit haben, sich mit dem Akteninhalt vertraut zu machen um eine sachgerechte Verteidigung vortragen zu können. Dementsprechend ist die Hauptverhandlung auszusetzen.
Rechtsanwalt FRESE
FACHANWALT FÜR VERKEHRSRECHT”
Daraufhin das Amtsgericht:
“Der Termin vom xxx wird aufgehoben. Die Akten werden dem Landgericht vorgelegt.”
Fortsetzung folgt
Vorschaubild (C) Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de (Sehr schöner Titel: “Bürokraten unter sich” – wie passend)