AG Krefeld zur Umsatzsteuererstattung im Totalschadensfall

Ich habe vom Kollegen Karim Scharifi, Rechtsanwalt Fachanwalt für Verkehrsrecht, Donkring 5, 47906 Kempen ein interessantes Urteil (AG Krefeld, 29.07.2016, Az. 2 C 151/16) zum Thema Umsatzsteuererstattung im Totalschadensfall erhalten. Das Fahrzeug des vorsteuerabzugsberechtigten Unfallgeschädigten hatte einen Totalschaden erlitten; im Wiederbeschaffungswert war die sog. Differenzumsatzsteuer enthalten. Der Unfallgeschädigte erwarb ein Ersatzfahrzeug, dessen Nettopreis über dem Brutto-Wiederbeschaffungswert lag. Die eintrittspflichtige Versicherung war der Auffassung, dass wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung die Umsatzsteuer nicht zu zahlen sei.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich bei der ersten telefonischen Schilderung mit meiner Einschätzung (“alles netto”) daneben gelegen habe. Der Kollege hat mich und zuvor das Gericht zu Recht darauf hingewiesen, dass der Geschädigte die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen kann. Auf die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung kommt es gar nicht an.

Hier das Urteil (Download hier) – vielen Dank für die Übersendung!

2 C 151/16

Amtsgericht Krefeld

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstrejt

Klägerin,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Scharifi
gegen

Beklagte,

hat das Amtsgericht Krefeld

auf die mündliche Verhandlung vom 29.06.2016
durch den Richter Jonasch
für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 256,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Februar 2016 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorlaufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt nach einem Verkehrsunfall die Zahlung restlichen Schadensersatzes.

Sie ist vorsteuerabzugsberechtigt.

Die Beklagte haftet der Klägerin unstreitig dem Grunde nach für Schäden aus dem Verkehrsunfall, der sich am 18. November 2015 auf der Bundesautobahn 57 in Krefeld ereignete. Das den Unfall verursachende Fahrzeug mit dem Kennzeichen ist bei der Beklagten versichert.

Nach dem von der Klägerin eingeholten Gutachten beträgt der Wiederbeschaffungswert brutto 10.600,00 € und der Restwert 6.025,21 €.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten unter anderem die Zahlung des Wiederbeschaffungsaufwandes i. H. v. 4.574,79 €.

Die Beklagte zahlte hinsichtlich des verlangten Ersatzes des Wiederbeschaffungsaufwandes an die Klägerin 4.316,25 €.

Mit Schreiben vom 12. Februar 2016 verlangte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung eines weiteren Betrages i.H.v. 258,54 €bis zum 19. Februar 2016. Die Klägerin ist der Ansicht, sie könne bei einer konkreten Schadensabrechnung bis zum Höhe des Wiederbeschaffungswertes Ersatz verlangen, wenn der Geschädigte ein Fahrzeug erwirbt, dessen Nettopreis über dem Brutto-Wiederbeschaffungswert liegt. Dabei sei es unbeachtlich, ob tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 258,54 €nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Februar 2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin könne keine Umsatzsteuer ersetzt verlangen, denn sie ist – unstreitig – vorsteuerabzugsberechtigt. Es sei daher der NettoWiederbeschaffungswert ohne Differenzbesteuerung anzusetzen. Soweit im Sachverständigengutachten der Wiederbeschaffungswert differenzbesteuert ausgewiesen werde, müsse der Wiederbeschaffungswert um den Betrag, der die Differenzbesteuerung ausmache, gekürzt werden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll sowie den sonstigen Inhalt der Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage zulässig und begründet.

I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung 258,54 € aus §§ 7, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG.

1.
Der Anspruch besteht unstreitig dem Grunde nach.

2.

Die Klägerin kann weiteren Schadensersatz in Höhe von 258,54 € verlangen. Dieser Betrag ergibt aus dem Bruttowiederbeschaffungswert in Höhe von 10.600,00 € abzüglich des Restwertes in Höhe von 6.025,21 €und abzüglich der bereits in diesem Zusammenhang gezahlten 4.316,25 €. Die Regelung des § 249 Abs. 2 S.2 BGB steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, obwohl sie unstreitig vorsteuerabzugsberechtigt ist und der von ihr verlangte weitere Schadensersatz dem Betrag der Differenzbesteuerung, der im Sachverständigengutachten im Bruttowiederbeschaffungswert enthalten ist, entspricht. Erwirbt der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen (Brutto-)Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges entspricht oder diesen übersteigt, kann er im Wege konkreter Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des (Brutto) Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges – unter Abzug des Restwertes – ersetzt verlangen, dabei kommt es auf die Frage, ob und in welcher Höhe in dem im Gutachten ausgewiesenen (Brutto-)Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer enthalten ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (BGH, Urteil vom 15. November 2005 – VI ZR 26/05 -, BGHZ 164, 397-401, Rn. 6; Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 249 BGB, Rn. 84).

Stellt der Geschädigte durch eine konkrete Ersatzbeschaffung eines gleichartigen Fahrzeugs zu dem vom Sachverständigen genannten (Brutto-)Wiederbeschaffungswert wirtschaftlich den Zustand wieder her, der vor dem Unfallereignis bestand, so kann er nach § 249 BGB – bis zur Höhe des (Brutto-)Wiederbeschaffungswertes – den tatsächlich aufgewendeten Betrag unabhängig davon ersetzt verlangen, ob in ihm die Regelumsatzsteuer im Sinne des § 10 UStG, eine Differenzsteuer im Sinne des § 25a UStG oder gar keine Umsatzsteuer enthalten ist (BGH, Urteil vom 15. November 2005-VI ZR 26/05 -, BGHZ 164, 397-401, Rn. 6). Aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung darf der Geschädigte, wenn er die Naturalrestitution durch Ersatzbeschaffung selbst in die Hand nimmt, darauf vertrauen, dass er bis zum Betrag des Bruttowiederbeschaffungswertes die Kosten der Ersatzbeschaffung ersetzt bekommt, ohne da es darauf ankommt, wie viel Umsatzsteuer tatsächlich anfällt (Heinrich, NJW 2005, 2749 (2750); Huber, JR 2006, 371 (373), Quaisser, NJW-Spezial 2005, 495, (496)). Andernfalls wäre es so, dass wenn ein Fahrzeugmodell beschädigt wird, welches neu ist und nach der Einschätzung des Sachverständigen typischerweise mit 19 Prozent Umsatzsteuer verkauft wird und sich der Geschädigte zur Anschaffung eines teureren gebrauchten Fahrzeugs aus privater Hand entscheidet, so dass keine Umsatzteuer anfällt, er entgegen der durch das Gutachten begründeten Erwartung eine Kürzung um 19 Prozent hinnehmen muss, mit der er nicht zu rechnen braucht. Der Schaden würde insoweit um die fiktive Umsatzsteuer gekürzt (vgl. Quaisser, NJWSpezial 2005, 495, (496). Weil es sich hierbei um eine Vereinfachungsregel handelt (vgl. Huber, JR 2006, 371 (374), ist nach Einschätzung des Gerichts keine Differenzierung angezeigt, wenn von Anfang an keine Umsatzsteuer wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung anfallen kann. Auch der vorsteuerabzugsberechtigte Geschädigte darf im Rahmen der subjektiven Schadensbetrachtung insoweit darauf vertrauen, dass er den im Gutachten ausgewiesenen Betrag ersetzt bekommt. Weil die Klägerin im zu entscheiden Fall eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hat, bei der die Kosten der Ersatzanschaffung den Bruttowiederbeschaffungswert überstiegen, kann sie folglich auch bis zum Betrag des Bruttowiederbeschaffungsaufwandes abzüglich Restwert ihre tatsächlich angefallen Kosten ersetzt verlangen.

Es liegt auch nicht die dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 5. Februar 2013 – Az.: VI ZR 363/11 – zugrundeliegende Sondersituation vor, dass der Anspruch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auf die Reparaturkosten beschränkt ist. In diesem Fall ist der Anspruch ist auf den Umsatzsteuerbetrag begrenzt, der bei Durchführung der notwendigen Reparatur angefallen wäre (Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 249 BGB, Rn. 84). Vielmehr liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor, bei dem nur eine Ersatzbeschaffung als Form der Naturalrestitution möglich ist.

II.

Der Anspruch auf Zinszahlung ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB. Aufgrund der in der im Schreiben vom 12. Februar 2016 enthaltenden Fristsetzung bis zum 19. Februar 2016 war die Beklagte jedenfalls ab dem 22. Februar 2016 in Verzug.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Der Streitwert wird auf bis 500,00 €festgesetzt.

Rechtsbehelfsbelehrung:

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Jonasch

Vorschaubild (C) Petra Bork  / pixelio.de

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