EuGH zum Führerscheintourismus und Verletzung des Wohnsitzerfordernisses

So, nach einer längeren Blogpause wegen Urlaubs (der allerdings nicht sooo lange dauerte), folgende Mitteilung:
Der EuGH hat in einer lange erwarteten Entscheidung (Urteil vom 26.06.2008, Az. C-329 und C-343, “Wiedemann”) zu Fragen des sog. “Führerscheintourismus” Stellung bezogen. Die zuvor ergangenen und gerne schlagwortartig verkürzt wiedergegebenen Entscheidungen “Kapper”, “Halbritter” und “Kemper” hatten mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet. Was immer wieder gerne übersehen wird, waren die Sachverhalte dieser Entscheidungen, die nicht generalisiert werden dürfen. Insbesondere die nun zum EuGH getragene Sachverhaltsvariante wurde von den Verwaltungsgerichten daher unterschiedlich gehandhabt. Während einige auf der vermeintlichen Linie des EuGH meinten, die in einem EU-Mitgliedsstatt erworbene Fahrerlaubnis sei nach Ablauf der Sperrfrist ohne “wenn und aber” anzuerkennen, haben sich die überwiegende Zahl der Gerichte auf den Standpunkt gestellt, dass in Mißbrauchsfällen eine Anerkennung nicht in Betracht komme. Mißbrauch wurde dann angenommen, wenn eine MPU umgangen – oder, wie es nunmehr Sachverhalt in der Entscheidung des EuGH war – das Wohnsitzerfordernis umgangen wurde.

Der EuGH ist weitgehend den Schlußanträgen des Generalanwalts Yves Bot gefolgt. Es hat seine Auffassung bekräftigt, dass die Bundesrepublik grundsätzlich eine nach Ablauf der Sperrfrist erteilte Fahrerlaubnis eines anderen EU-Mitgliedsstaats anerkennen muss, wenn die Vorschriften dieses Landes zur Erteilung der Fahrerlaubnis eingehalten werden.

In den vorliegenden Fällen war wohl die Verletzung des Wohnsitzerfordernisses unstreitig; hier hat der EuGH der Bundesrepublik Recht gegeben. Solche Fahrerlaubnisse müssen nicht anerkannt werden.

Schließlich hat der EuGH auch entschieden, dass die Bundesrepublik die Fahrerlaubnis nicht entziehen darf (“Fahrberechtigung vorläufig auszusetzen”), wenn die Voraussetzungen für die Erteilung vom ausstellenden EU-Mitgliedsstaat überprüft werden; wohl aber, wenn feststeht, dass das Wohnsitzerfordernis verletzt wurde. Der Generalstaatsanwalt hatte der Bundesrepublik dieses Recht zugestanden, wenn der Fahrerlaubnisinhaber ein “potenziell gefährliches Verhalten” zeigte.

Die Entscheidung kann hier gefunden werden.

Nachfolgend noch die Leitsätze, die allerdings fast unverständlich sind…:

1. Die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat außerhalb einer für den Betroffenen geltenden Sperrzeit ausgestellten Führerschein ergibt, und somit die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.

Unter denselben Umständen verwehren diese Bestimmungen es einem Mitgliedstaat jedoch nicht, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte.

2. Die Art. 1 Abs. 2 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung verwehren es einem Mitgliedstaat, der nach dieser Richtlinie verpflichtet ist, die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, diese Fahrberechtigung vorläufig auszusetzen, während der andere Mitgliedstaat die Modalitäten der Ausstellung dieses Führerscheins überprüft. Dagegen verwehren es diese Bestimmungen unter denselben Umständen einem Mitgliedstaat nicht, die Aussetzung der Fahrberechtigung anzuordnen, wenn sich aus den Angaben im Führerschein oder anderen von diesem anderen Mitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie vorgeschriebene Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war.

2 Kommentare

  1. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, der den Konsens mitinitiiert hatte, zeigte sich vor allem über die Bestimmung gegen den „Führerscheintourismus“ erfreut: Hat ein EU-Land eine Fahrerlaubnis eingezogen, darf kein anderes EU-Land dafür eine neue ausstellen.

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