Der BGH hat sich in den letzten Jahren bekanntermaßen mehrfach mit Einzelfragen der Abrechnung eines Totalschadens befaßt. Einige Fallkonstellationen sind entschieden, einige nicht. In seiner Entscheidung vom 22.04.2008, Az. VI ZR 237/07, hat der BGH nunmehr festgestellt, dass auch bei Vorlage einer Rechnung in “über-100 %”-Fällen eine sechsmonatige Weiternutzung erforderlich ist, um die Reparaturkosten ersetzt zu erhalten. In dem entschiedenen Fall lagen die Reparaturkosten ca. 1.100,00 € über dem Wiederbeschaffungswert; der Kläger hatte das Fahrzeug unter Vorlage einer Rechnung reparieren lassen, aber nach 2 Monaten verkauft. Die beklagte Versicherung hatte auf Totalschadensbasis abgerechnet, also nur den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt. Dies hat der BGH im Ergebnis (leider) gebilligt.
Schon die vom BGH erfundene 6-Monats-Frist ist dem Mandanten schwer zu vermitteln, die obige Entscheidung wird die Unsicherheit in der Beratungspraxis noch verstärken. So ist die Frage der Fälligkeit noch nicht geklärt (wird der Betrag der Reparaturkosten sofort fällig und der Versicherung ist ein Rückforderungsrecht zuzugestehen oder muß der Geschädigte nach Ablauf der Frist darlegen und beweisen, dass er das Fahrzeug noch 6 Monate genutzt hat, um die “Lücke” zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Reparaturkosten zu erhalten ?).
Schließlich ist noch zu klären, was der BGH als “besondere Umstände” ansieht, die ein Absehen von der 6-Monatsfrist rechtfertigen. Das reine wirtschaftliche Interesse an einer sinnvollen Verwertung des Fahrzeugs soll hierfür nicht genügen (so Verkehrsrecht aktuell, Heft 7/2008, S. 110).
Mich überzeugt die Entscheidung nicht. Durch die Vorlage der Reparaturrechnung hat der Geschädigte in stärkster Form sein Integritätsinteresse zum Ausdruck gebracht. Die Versicherungswirtschaft hat wieder eine beachtliche Entscheidung zu Lasten der Geschädigten erwirkt. Es ist durchaus häufig, dass an den beiden “Stellschrauben” Wiederbeschaffungswert und Restwert gedreht wird. Die ohnehin angespannte finanzielle Situation nach einem Totalschaden wird so zusätzlich verschärft. Das Urteil wird eine willkommener Anlaß sein, die Bemühungen noch zu verstärken.
Update 08.07.2008: Eine sofortige Fälligkeit nehmen das LG Bielefeld, Beschl. v. 28.01.2008, Az. 20 T 2/08 (abgedruckt in DV 2/2008, S. 67), an sowie in seinem Urteil vom 17.01.2008, Az. 20 S 112/07 (hier online abrufbar).
Update 18.07.2008: In der NJW 2008, Heft 30, S. 2183 ff. ist die Entscheidung des BGH abgedruckt. In einer Urteilsanmerkung vertritt Frau RAin und FAin für Verkehrsrecht Kappus aus Frankfurt a.M. ebenfalls die Auffassung, dass die Fälligkeit des Anspruchs mit dem Unfalltag eintritt.
Als Ausnahmefälle für das Abwarten der 6-Monatsfrist nennt die Kollegin Diebstahl, Brand, unverschuldeter Totalschaden, Krankheit aufgrund derer das KFZ aufgegeben werden muß sowie unverschuldete finanzielle Notlagen aufgrund Arbeitslosigkeit. Ich freue mich schon auf die Kreativität, mit der die vom BGH verwendete Formulierung “unfreiwilliger Verlust” erklärt werden kann….