Das LG Aachen hat mit Urteil vom 05.11.2010 (Az. 7 O 127/10) ein Teil-Versäumnisurteil bestätigt, mit dem das verklagte Busunternehmen als Halter sowie der Fahrer zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie zur Ersatzpflicht zukünftiger Schäden verurteilt wurden. Das OLG Köln hat mit Beschluß vom 12.01.2011, Az. 11 U 209/10, darauf hingewiesen, dass es die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen wolle. Daraufhin wurde die Berufung zurückgenommen.
Das Urteil sowie eine Besprechung von mir sind in der SVR 2011, Heft 5, Seite 180 ff. veröffentlicht worden.
Das Urteil ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. So enthält es Ausführungen zur Haftung des Busunternehmens/Busfahrers bei einer typischen Anhaltesituation nach Schulschluß, wenn die ungeduldigen Schüler zum Bus wollen. Beide Gericht haben zutreffend einen Haftungsausschluß gem. § 106 SGB VII verneint. Schließlich haben die Gerichte auch die Kosten für die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung zugesprochen.
Im einzelnen:
1. Zur Haftung dem Grunde nach
Der damals 11-jährige Kläger wollte den im Linienverkehr eingesetzten Bus benutzen. An der Haltestelle befanden sich hauptsächlich Schüler, die nach Schulschluß entsprechend ausgelassen waren. Nach den Feststellungen des LG beachtete der Busfahrer beim Heranfahren an die Haltestelle nicht die erforderliche Sorgfalt. Im Gemenge kam der Kläger zu Fall und geriet mit einem Fuß unter eines der Räder des Busses. Er erlitt hierbei erhebliche Verletzungen und einen Dauerschaden.
Die Sorgfaltsanforderungen beim Heranfahren eines Busfahrers an eine Haltestelle sind wie folgt zusammenzufassen:
Der BGH hat in seinem Urteil vom 01.12.1981, Az. VI ZR 219/80, grundlegende Ausführungen gemacht, die auch vom OLG Hamm in seinem Urteil vom 08.12.1999, Az. 13 U 73/99 – juris – zugrundegelegt wurden:
“Der Fahrer eines Schulbusses muß beim Heranfahren an eine Haltestelle, an der eine größere Gruppe von Schulkindern wartet und im Begriff ist, den Bus sozusagen zu “stürmen”, in einem möglichst großen Abstand vom Bordstein den Bus ganz langsam mit weniger als Schrittgeschwindigkeit ausrollen lassen, dabei die Kinder im Außenspiegel beobachten und notfalls sofort anhalten, wenn er in der heranstürzenden Schar ein besonders gefährdetes Kind sieht.”
Auch das OLG Köln hält in seiner Entscheidung vom 10.08.1994, Az. 11 U 69/94 -juris – fest:
” 1. Der Fahrer eines Schulbusses muß bei der Anfahrt einer dafür vorgesehenen Haltestelle in der Regel auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen. Bei der Anfahrt einer Linienbushaltestelle ist dagegen eine Geschwindigkeit von ca 10 km/h durchaus angemessen. Ein Hupsignal ist nur erforderlich, wenn ausreichende Hinweise dafür bestehen, daß eine Situation unmittelbar in eine konkrete Gefahr für einzelne Verkehrsteilnehmer münden könnte.
2. Um die Sicherheit der aus- und einsteigenden Fahrgäste zu gewährleisten, ist der Busfahrer grundsätzlich verpflichtet, möglichst dicht an den Bordstein heranzufahren. Besteht ein triftiger Grund, so ist ein von diesen Regelanforderungen abweichendes Anfahren der Haltestelle durchaus zulässig, wenn der Fahrer die Fahrgäste auf den größeren Abstand zum Bürgersteig hinweist.
3. Bei fahrlässigem Verhalten von Kindern und Jugendlichen ist der Kraftfahrer von der Gefährdungshaftung wegen objektiv verkehrswidrigen Verhaltens des Geschädigten nur dann freizustellen, wenn der Sorgfaltsverstoß der Kinder auch subjektiv besonders vorwerfbar ist. Dabei ist ein altersgemäßer Maßstab anzulegen. Das Mitverschulden eines Minderjährigen ist daher regelmäßig mit einer geringen Quote anzusetzen.”
Der 13. Senat des OLG Köln hat sich in der Entscheidung vom 06.12.1989, Az. 13 U 120/89, wie folgt entschieden:
“Nähert sich ein Schulbus auf den letzten 11 Metern vor der Haltestelle mit einer Geschwindigkeit von 13 km/h, also mit mehr als doppelter Schrittgeschwindigkeit, gereicht dies dem Fahrer zum Verschulden, wenn er erkannt hatte, daß die Gruppe der wartenden Schüler drängte und in Bewegung geraten war.”
Interessant am Urteil des LG Aachen ist vor allem, dass dem Kläger kein Mitverschulden angerechnet wurde. Bei einem vergleichbaren Unfall eines Erwachsenen hat das OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.05.2009, Az. 1 U 261/08 – juris – , eine Klage sogar abgewiesen.
2. Ausschluß der Haftung gem. §§ 106 Abs. 1, 104, 105 SGB VII
Zu Recht haben das LG Aachen und das OLG Köln einen Haftungsausschluß verneint. Die Bedeutung dieser Normen wird bisweilen schon einmal übersehen.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Haftungsprivilegien im Falle des Schülerunfalls ist eine schulbezogene Verletzungshandlung. Eine schulbezogene Verletzungshandlung liegt immer dann vor, wenn diese mit der Schulsituation in einem engen Zusammenhang steht. Insoweit gelten noch die zu den alten Vorschriften der §§ 636, 637 RVO entwickelten Rechtsgrundsätze fort. Danach ist darauf abzustellen, ob die Verletzungshandlung auf der engen typischen Gefährdung aus engem schulischen Kontakt beruht, dann liegt eine schulbezogene Handlung vor, oder ob sie nur bei Gelegenheit des Besuchs erfolgt ist. Die innere schulische Verbundenheit erfordert stets, dass die konkrete Verletzungshandlung durch die Besonderheit des Schulbetriebs geprägt wird, was in der Regel eine enge räumliche und zeitliche Nähe zu dem organisierten Betrieb der Schule voraussetzt. Auch für den Schülerunfall gilt, dass für die Frage ob ein Haftungsprivileg eingreift, zwischen dem Unfall auf einem Betriebsweg, der die Haftungsprivilegierung auslöst und dem nicht haftungsprivilegierten Wegeunfall abzugrenzen ist. Übertragen auf die Schule bedeutet dies, dass der Haftungsprivilegien der Betriebsweg der so genannte Unterrichtsweg ist, also Wege zwischen der Schule und einem anderen Ort, an dem die Schulveranstaltungen unter der Verantwortung der Schule stattfindet, so zum Beispiel der Weg zu Sportstätten oder zum Museum, Wanderungen und Klassenfahrten. Voraussetzung für diesen haftungsprivilegierten Weg ist aber, dass der Transport in den Schulbereich eingegliedert ist und damit integrierter Bestandteil der Organisation des Schulbetriebs ist. Keine Betriebs- oder Unterrichtswege sind die unmittelbaren Wege von Versicherten zur Schule oder einem anderen als dem üblichen Ort der Tätigkeit und umgekehrt. Dabei handelt es sich um einen privaten versicherten Weg gemäß § 8 Abs. 2 SGB VII, auf den das Haftungsprivileg nicht eingreift.
Das OLG Hamm (Aktenzeichen 9 U 151/03, NZV 2004,400) hat ausgeführt, dass die Fahrt des Schülers zur Schule grundsätzlich dessen Privatsache ist. Lediglich aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall ist in dem entschiedenen Fall eine Haftungsprivilegierung angenommen worden. Der BGH hat in einem Urteil (Aktenzeichen VI ZR 284/91, NJW 1992, 2032) nach dem Verlassen des Schulbusses auf der Heimfahrt bei einer Rauferei zwischen Schülern das Haftungsprivileg nicht zugebilligt.
Das vorliegende Geschehen stellte eine Verletzung des Klägers auf dem Rückweg von der Schule dar, die allerdings schon abgeschlossen war. Die Verletzungshandlung ereignete sich außerhalb des Schulgeländes. Weder bestand ein enger zeitlicher noch räumlicher Zusammenhang. Dies spricht hier zum einen gegen eine schulbezogene Handlung. Zum anderen – wie oben ausgeführt – handelt es sich bei dem Weg von oder zur Schule um eine reine Privatsache.
3. Kosten für die Einholung der Deckungszusage
Das LG Aachen und das OLG Köln haben zutreffend die Kosten für die Einholung der Deckungszusage zugesprochen. Insoweit darf ich auf diese beiden Beiträge verweisen:
Hier die Urteile des LG Aachen/Beschluss des OLG Köln:
[…] LG Aachen/OLG Köln zur Haftung beim Busunfall eines Schülers […]