AG Hannover verurteilt VHV zur Restwertzahlung

Die VHV Versicherung fällt derzeit  in Haftpflichtschadensfällen durch wenig intelligentes, aber aggressives Kürzungsverhalten auf. Das versucht sie aber auch in Kaskoschadensfällen. Vergeblich und genausowenig intelligent. Deswegen hat sie nun eine herbe Schlappe vor ihrem Heimatgericht erlitten. Das AG Hannover (Urteil vom 14.01.2016, Az. 445 C 4792/15) verurteilte die VHV zur restlichen Zahlung.

Meine Mandantin war Eigentümerin eines bei der VHV vollkaskoversicherten LKW und Inhaberin eines Sicherungsscheins. Das Fahrzeug verunfallte selbstverschuldet. Die VHV beauftragte einen Sachverständigen mit der Ermittlung von Wiederbeschaffungs- und Restwert. Die Mandantin hatte noch mehrfach telefonisch/schriftlich wegen des nicht zutreffenden Wiederbeschaffungswerts nachgehakt und ausdrücklich um eine Weisung wegen des Restwerts gefragt. Veräußert wurde der LKW dann zum Restwert laut Gutachten innerhalb der Bindungsfrist. Das Fahrzeug war untergestellt und täglich fielen Standkosten an.

Die Veräußerung zum Restwert laut Gutachten gefiel der VHV nicht. Sie gab ein höheres Restwertangebot ab – vom gleichen Bieter (!!) und 2 Tage nach Ablauf der Bindungsfrist laut Gutachten. Dementsprechend wollte sie weniger zahlen. Die Mandantin musste sich nun vorwerfen lassen, sie habe gegen das Weisungsgebot verstoßen.

Das war nicht rechtens, wie das AG Hannover zutreffend entschied. Die VHV hätte kurzfristiger reagieren müssen. Das Gebot der Waffengleichheit gebiete es, entweder unverzüglich ein höheres Restwertangebot abzugeben oder eine Anweisung vorzunehmen, das Fahrzeug nicht zu veräußern.

 

Hier das Urteil (Download hier):

Amtsgericht Hannover

Verkündet am 14.01.2016

445 C 4792/15

Im Namen des Volkes

Urteil

ln dem Rechtsstreit

Klägerin

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Busch & Kollegen, Schaf-hausener Str. 38, 52525 Heinsberg Geschäftszeichen: 165/15 F04

gegen

VHV Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch d. Vorstandsmitglieder Thomas Voigt u.a, VHV-Platz 1, 30177 Hannover Geschäftszeichen: Schd.-Nr.

Beklagte

Prozessbevollmächtigter:

hat das Amtsgericht Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 17.12.2015 durch den Richter Hettig für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.002,52 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 22 Prozent und die Beklagte 78 Prozent zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils vollstreckbaren Betrages.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf bis 3.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Kaskoversicherungsvertrag gegenüber der beklagten Versicherung geltend.

Die Klägerin war Eigentümerin eines Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen Dieses Fahrzeug wurde am 18.12.2014 in einen Verkehrsunfall verwickelt. Die Beklagte ist Kaskoversicherer des Fahrzeuges.

In den allgemeinen Versicherungsbedingungen heiß es unter anderem:

E.3.2 Einholen unserer Weisung

“Vor Beginn der Verwertung oder der Reparatur des Fahrzeugs haben Sie unserer Weisung einzuholen, soweit die Umstände dies gestatten, und diese zu befolgen, soweit Ihnen dies zumutbar ist. Dies gilt auch für mitversicherte Teile. “

Aufgrund des Schadensfalles wurde auf Veranlassung der Beklagten einen Sachverständigengutachten eingeholt. In dem Gutachten werden folgende Positionen angegeben:

Wiederbeschaffungswert netto 52.500,00 €
Restwert netto 28.300,00 €

Mit E-Mail vom 07.01.2015 bat die Klägerin die Beklagte um Stellungnahme bis zum 12.01.2015, da kurzfristig über die Weiterverwendung bzw. Verwertung des Fahrzeuges entschieden werden müsse (Blatt 24 der Akte).

Am 13.01.2015 erhielt die Klägerin einen hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes korrigiertes Gutachten, dort wjrd von einem Restwert in Höhe von 33.677,00 € (28.300,00 € netto) ausgegangen (Blatt 6 bis 23 der Akte), gültig bis zum 25.01.2015. In dem Gutachten heißt es weiter: .
„Vor Veräußerung des unfallbeschädigten Fahrzeugs ist mit der Versicherung Rücksprache zu halten.“

Am 16.01.2015 veräußerte die Klägerin den Lkw zu einem Preis in Höhe von brutto 33.677,00 € (netto 28.300,00 €) (Blatt 25 der Akte).

Mit Schreiben vom 26.01.2015, bei der Klägerin einen Tag später.eingegangen, verwies die Beklagte auf ein höheres Restwertangebot in Höhe von brutto 36.060,00 €. Dieses Restwertangebot ist bei der Beklagten am 26.01.2015 eingegangen.

Die Beklagte rechnete wie folgt ab:

Wiederbeschaffungswert Restwert
Selbstbehalt der Klägerin Auszahlungsbetrag
52.500.00 € 30.302,52 €
500.00 € 21.697,48 €

Zwischen dem 18.12.2014 und dem 15.01.2015 war der beschädigte Lkw bei der Firma abgestellt. Die Klägerin entrichtete Standkosten in Höhe von 560,00 € netto, welche sie ebenfalls ersetzt verlangt. Hilfsweise macht sie Kosten in Höhe von 163,00 € netto für das Abpumpen von Flüssigkeit sowie für die Abdeckung geltend, welche in der Rechnung der Firma enthalten sind.

Die Klägerin behauptet, der Restwert des Lkw betrage 28.300,00 € netto. Das von der Beklagten vorgelegte Angebot über 30.302,52 € sei willkürlich und nicht nachvollziehbar. Sie meint, die Beklagte habe ihr Weisungsrecht durch Übersendung der Schadensgutachten ausgeübt. Das Restwertangebot vom 26.01.2015 sei zu spät übermittelt worden.
Die Klägerin behauptet weiter, es seien Kosten in Höhe von 163,00 € für das Abpumpen von Flüssigkeit und für die Abdeckung entstanden.

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.562,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus einem Betrag in Höhe von 2.002,52 € seit dem 02.04.2015 und aus weiteren 560,00 € ab Zustellung des Schriftsatzes vom 01.09.2015 zu zahlen,

die Klägerin von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 281,30 € netto freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Restwert betrage 30.302,52 €. Sie meint, die Klägerin habe gegen die Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verstoßen, indem sie den Lkw ohne weitere Weisung der Beklagten veräußert habe.

Bzgl. des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 24.09.2015 und vom 17.12.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 2.002,52 € gem. § 1 S. 1 VVG.

Unstreitig wurde der versicherte Lkw der Klägerin in Rahmen eines Unfalles beschädigt. Hierfür hat die Beklagte gern, dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaskoversicherungsvertrag die entstandenen Schäden zu erstatten, soweit sie versichert gewesen sind.

Nach Ziff. A.2.6.1 der dem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 2008) hat sich die Beklagte verpflichtet, für den Fall eines Totalschadens, einer Zerstörung oder des Verlustes des versicherten Fahrzeuges den um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswert zu bezahlen.

Der Wiederbeschaffungswert beträgt 52.500,00 € netto, der Restwert 28.300,00 € netto, so-dass die Beklagte 24.200,00 € zu zahlen hat. Da sie bereits 21.697,48 € zahlte und die Klägerin 500,00 € im Rahmen des Selbstbehaltes zahlen muss, verbleiben 2.002,52 €.

Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe gegen das Weisungsgebot aus Ziff. E.3.2 AKB 2008 vor Veräußerung des Lkw verstoßen und sie müsse sich auf das der Beklagten am 26.01.2015 eingegangene höhere Restwertangebot verweisen lassen, kann dem nicht gefolgt werden.

Nach Ziff. E.5.2 AKB 2008 Ist die Beklagte zur Leistung verpflichtet, wenn der Verstoß des Versicherungsnehmers gegen eine Weisung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich war, vgl. auch § 28 Abs. 3 S. 1 VVG.

Hier ist zu berücksichtigen, dass das Gutachten vom 13.01.2015 mitteilt, dass das Restwertangebot bis zum 25.01.2015 gültig sei (Seite 5 des Gutachtens, Blatt 10 der Akte). Aus § 254 Abs. 2 S. 1 BGB folgt die Pflicht des Geschädigten, den entstandenen Schaden möglichst gering zu halten, um sich nicht Abzüge gefallen lassen zu müssen. Angesichts dieser Obliegenheit zum unverzüglichen Handeln ist es nach dem Prinzip der Waffengleichheit auch der Gegenseite zuzumuten, unverzüglich ein höheres Restwertangebot zu unterbreiten oder den
Geschädigten jedenfalls anzuweisen, das Fahrzeug bis auf weiteres nicht zu veräußern. Dies hat die Beklagte in keiner Weise getan. Vielmehr hat sie ihr Restwertangebot erst zwei Tage nach Ablauf des Restwertangebotes aus dem Gutachten vom 13.01.2015 unterbreitet. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob bereits in der sofortigen Veräußerung des Fahrzeugs durch die Klägerin ohne weiteres Zuwarten für wenige Tage eine Obliegenheitsverletzung zu sehen ist. Jedenfalls hat die Beklagte auch in der zumutbaren Zeitspanne nicht reagiert, so-dass sich eine Obliegenheitsverletzung – sofern sie denn vorliegen sollte – nicht ursächlich ausgewirkt hat (LG Frankfurt NJW-RR 1993, 348, beck-online). Aus diesem Grunde braucht auch kein Beweis darüber erhoben zu werden, ob der im Restwertangebot der Beklagten vom 26.01.2015 genannte Betrag durch die Klägerin bei der Veräußerung tatsächlich erzielbar gewesen wäre.

Zinsen kann die Klägerin gern, den §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB seit dem 02.04.2015 verlangen, nachdem sie im Schreiben vom 25.03.2015 eine Zahlungsfrist bis zum 01.04.2015 gesetzt hatte.

Soweit die Klägerin Standgebühren und hilfsweise 163,00 € an behaupteten Kosten für das Abpumpen von Flüssigkeiten geltend macht, ist eine Anspruchsgrundlage gegenüber der Beklagten aus den Ziff. A.2.1 bis A.2.6.5 AKB 2008 nicht erkennbar.

Ihre außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin ebenfalls nicht erstattet verlangen, weil nicht ersichtlich ist, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Verzug befunden hat. In der E-Mail vom 07.01.2015 (Blatt 24 der Akte) findet sich keine Zahlungsfrist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für die Vollstreckung durch die Klägerin aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO und für die Vollstreckung durch die Beklagte aus den § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung

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Heftig
Richter

(C) Vorschaubild Jorma Bork  / pixelio.de

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