AG Geilenkirchen schützt Dispositionsfreiheit; keine Verweisung bei mehr als 20 km Entfernung

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Das AG Geilenkirchen hat mit Urteil vom 29.05.2018, Az 10 C 21/18, die Dispositionsfreiheit des Unfallgeschädigten geschützt. Die verklagte HUK hatte versucht, den klagenden Geschädigten in den Totalschaden zu drängen; für den Fall eines Reparaturschadens wurde versucht, auch diesen durch die Verweisung auf eine andere Werkstatt zu kürzen. Die Verweisung war aber nicht zulässig, weil sich die Verweiswerkstatt mehr als 20 km vom Wohnsitz des Geschädigten befand. Bei der Verweisung war ein falscher Wohnort des Geschädigten angenommen worden. Ferner war noch der Ersatz der Beilackierungskosten bei fiktiver Abrechnung streitig.

Das Amtsgericht hat die Reparaturkosten netto laut Sachverständigengutachten zugesprochen. Es seien die Kosten laut dem eingeholten Gutachten des Geschädigten zugrundezulegen. Wegen der durchgeführten Reparatur käme es auf die Höhe des Restwerts nicht an.

Bei den Reparaturkosten wurden aber Abzüge gemacht, weil angeblich die Beilackierungkosten nach der Rechtsprechung des LG Aachen nicht erstattungsfähig seien. Entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts war die Erforderlichkeit der Lackierungskosten vorgetragen und unter Beweis gestellt worden. Leider hat das AG auch nicht zur Kenntnis genommen, dass die landgerichtliche Entscheidung eine Sonderkonstellation betraf. Dort ging es nämlich um die Lackierung eines innenliegenden Seitenschwellers. Für diesen Fall hatte das LG die Kosten der Beilackierung nicht zugesprochen. Leider haben die die Versicherung vertretenden Rechtsanwälte dies zum Anlass genommen, generell zu behaupten, die Beilackierung sei bei fiktiver Abrechnung nach der Rechtsprechung des LG Aachen nicht erstattungsfähig.

Eine klare Absage erteilte das AG dem Versuch der Verweisung, weil die Verweiswerkstätten weiter als 20 km entfernt und eine Fachwerkstatt sich näher als 20 km am Wohnort des Klägers befinde.

Hier das Urteil zum Download.


Hier das Urteil im Volltext:

10 C 21/18

Verkündet am 29.05.2018

Amtsgericht Geilenkirchen

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägers,

Prozessbevollmächtigte: Réchtsanwälte Busch & Kollegen, Schafhausener Straße 38, 52525 Heinsberg,

gegen

die HUK Coburg Haftpflicht-Unterstützungs-Kasse kraftfahrender Beamter
Deutschlands a.G. in Coburg, vertr. d. d. Vorstand, dieser vertreten durch den
Vorsitzenden Dr. Wolfgang Weiler, Franzstraße 2, 52045 Aachen,

Beklagte,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Breidenich & Poschen, Oppenhoffallee 90, 52066 Aachen,

hat das Amtsgericht Geilenkirchen

auf die mündliche Verhandlung vom 08.05.2018

durch die Richterin am Amtsgericht Dr. Löhr

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1204,11 € zuzüglich Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.01.2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 20 %, die Beklagte zu 80 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung restlicher Schadensersatzansprüche aus
einem Verkehrsunfall vom 27.09.2017 in G in Anspruch. An dem
Verkehrsunfall war neben dem Fahrzeug des Klägers das bei der Beklagten
haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen beteiligt.
Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten für das Unfallgeschehen steht
zwischen den Parteien nicht im Streit. Streitig ist allein die Höhe des. dem Kläger
zustehenden Schadensersatzanspruches.

Das vorgerichtliche Gutachtén der Sachverständigen vom
17.10.2017 ermittelte Netto—Reparaturkosten in Höhe von 3.437,29 € bei einem
Wiederbeschaffungswert ‚von 4.500,00 € und einem Restwert von 1.600,00 €. Der
Kläger macht mit der Klage die Zahlung des Differenzbetrages zwischen den
sachverständigerseits ermittelten Netto-Reparaturkosten in Höhe von 3.437,29 €
abzüglich der vorgerichtlich von der Beklagten gezahlten 1.950,00 € auf
Totalschadenbasis „zuzüglich gezahlter 80,00 € Ummeldekosten geltend.

Der Kläger beantragte zunächst,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.567,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 04.01.2018 zu. zahlen, sowie ihn von restlichen
Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte Busch & Kollegen
aus 52525 Heinsberg in Höhe von 78,90 € freizustellen.

Nach einer Teilklagerücknahme beantragte der Kläger zuletzt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.407,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem _jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 04.01.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, soweit er die Klage zurückgenommen hat.

Die Beklagte ist der Ansicht, dem Kläger sei es verwehrt, auf Reparaturkostenbasis
abzurechnen, da er das Fahrzeug nicht wenigstens sechs Monate nach dem Unfall
weitergenutzt habe; zudem sei ein wirtschaftlicher Totalschaden eingetreten, da sich
der erstattungsfähige Wiederbeschaffungsaufwand unter Berücksichtigung eines
Wiederbeschaffungswertes von 4.500,00 € und eines Restwertes von 2.550,00 € nur
auf die bereits gezahlten 1.950,00 € belaufe. Zudem sei der Kläger in einer Höhe von
280,00 € auf die Nutzungsausfallentschädigung überzahlt‚ da statt erforderlicher drei
bis vier Tage für die Reparatur Nutzungsausfallentschädigung für 12 Tage gezahlt
werden sei.

Im Übrigen ist die Beklagte der Ansicht, dass-gemäß des vorgelegten Prüfberichts
der Dekra vom 27.10.2017 Teile der geltend gemachten Netto-Reparaturkosten nicht
erstattungsfähig seien. Dazu gehörten die auf die Lackierung entfallenden
Karosseriearbeiten in Höhe von 96,75 € sowie Lackierungsarbeiten in einem Umfang
von 106,43 €, da die Beilackierung der vorderen linken Tür bei fiktiver Abrechnung
nicht erstattungsfähig sei. Zudem macht die Beklagte Abzüge bei den in dem
Gutachten zugrunde gelegten Stundenverrechnungssätzen und vewveist den Kläger
auf günstigere Reparaturmöglichkeiten, namentlich auf die Referenzwerkstätten
Lenzen GmbH, Im Brühl 92, Alsdorf, sowie Autolackierung Gottschalk, Roder Weg 6,
52072 Aachen. Beide Werkstätten befänden sich, so die Beklagte weiter, in
zumutbarer Nähe zum Wohnsitz des Klägers und böten einen kostenlosen Hol- und
Bringservice an.

Der Kläger bestreitet, dass sich die genannten Werkstätten in zumutbarer Nähe zu
seinem Wohnsitz befinden. Er ist ferner der Ansicht, dass die Kosten der
Beilackierung auch bei fiktiver Abrechnung erstattungsfähig sind und dass er sich
nicht auf günstigére Referenzwerkstätten verweisen lassen muss. Die
Nutzungsausfallentschädigung sei angesichts einer Überlegungsfrist für den
gesamten erstatteten Zeitraum geschuldet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen sowie auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 08.05.2018 verwiesen.

Entscheidunqsqründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache teilweise Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von
weiteren 1.204,11 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1_, 421, 249 ff.
BGB i. V. m. 5 115 Abs. 1 WG aufgrund des Verkehrsunfallgeschehens vom
27.09.2017 in zu.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich der restlichen, noch
ausstehenden fiktiven Netto-Reparaturkosten, denn es ist in der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs anerkannt, dass der Geschädigte zum Ausgleich des durch
einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens die vom Sachverständigen
geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne
Abzug des Restwerts verlangen kann, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren
lässt und es anschließend weiter nutzt (vgl. BGH NJW 2003, 2085). So liegt der Fall
hier. Dabei sind im Rahmen der Vergleichsbetrachtung die von dem
Sachverständigen des Geschädigten ermittelten Brutto-Reparaturkosten zugrunde zu
legen. Diese betragen vorliegend 4.090,38 € und liegen damit unterhalb des von dem
Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswertes von 4.500,00 €. Da bei
dem in die Vergleichsbetrachtung einzustellenden Wiederbeschaffungswert die
Berücksichtigung des streitigen Restwerts ohnehin unterbleibt‚ bedurfte die zwischen
den Parteien umstrittene Frage, wie hoch der Restwert des verunfallten Fahrzeugs
war, vorliegend keiner Entscheidung.

Auch die übrigen Voraussetzungen für die Geltendmachung des fiktiven Netto-
Reparaturschadens liegen vor. Der Kläger nutzte das Fahrzeug nach dem
Unfallgeschehen weitere sechs Monate, wie durch Vorlage der
Zulassungsbescheinigung Teil I sowie der Fotos des Fahrzeugs mit einer aktuellen
Zeitung belegt ist, vgl. Bl. 66, 75 — 79 GA. Dass das Fahrzeug repariert wurde, ist
belegt durch die Erklärung nebst Foto des Sachverständigenbüros
vom 20.12.2017, Bl. 25f. GA.

2. Von den seitens des Sachverständigen ermittelten Netto-Reparaturkosten in
Höhe von 3.437,29 € sind sodann Abzüge von insgesamt 203,18 € vorzunehmen.
Diese entfallen auf die Positionen Karosseriearbeiten (in Höhe von 96,75 €) sowie
Lackierungsarbeiten (in Höhe von 106,43 €). Bei diesen Kosten handelt es sich um
die Kosten der Beilackierung für die vordere linke Tür, die in Anlehnung an die
Rechtsprechung des Landgerichts Aachen bei fiktiver Abrechnung nicht
‘ erstattungsfähig sind.

Dazu führt das Landgericht Aachen in der Entscheidung vom 07.03.2016 (Urteil, 5 S
142/15, nach beck—online) aus:

Der Geschädigte kann eine Beilackierung nur beanspruchen, wenn sie auch
tatsächlich notwendig ist. (…) die Beilackierung ist nur erforderlich, wenn sich
herausstellen sollte, dass der Farbton von der übrigen Lackierung des
Fahrzeuges tatsächlich abweicht, was jedoch vor Durchführung der Reparatur
offensichtlich nicht feststellbar ist. Ein Abzug der kalkulierten
Beilackierungskosten ist auch nicht unbillig, denn ein Übergang in die konkrete
Schadensabrechnung nach erfolgter Reparatur steht dem Geschädigten offen
(…)
Trotz zwischenzeitlich erfolgter Reparatur hat der Kläger weder konkret vorgetragen
noch Beweis dazu angeboten, dass eine Beilackierung für eine sach- und
fachgerechte Reparatur erforderlich ist. Das geht zu Lasten des beweisbelasteten
Klägers.

3. Soweit die B

eklagte darüber hinaus weitere Abzüge wegen Verweisung auf
gleichwertige, aber günstigere Reparaturmöglichkeiten vornehmen will, greift sie
damit nicht durch. Denn die von der Beklagten angeführten Referenzbetriebe sind für
den Kläger nicht mühelos und ohne Weiteres erreichbar. So liegt die Werkstatt
Lenzen GmbH ausweislich des google maps Routenplaners 22,3 km, die
Autolackierung Gottschalk 28,8 km vom Wohnort des Klägers entfernt. Im Gegensatz
dazu ist das Autohaus Honda Conen GmbH in Heinsberg-Dremmen lediglich 14,3 km
vom Wohnort des Klägers entfernt. Dass die Betriebe, auf die die Beklagte verweist,
einen kostenlosen Bring- und Holservice anbieten, ist dabei ohne Belang, denn es ist
auch zu berücksichtigen, dass sich dadurch der dem Geschädigten zugemutete
Aufwand bei der Geltendmachung etwaiger Nacherfüllungsansprüche im Rahmen
der Gewährleistung bei mangelhaften Reparaturleistungen erhöht.
4. Weitere Abzüge sind nicht vorzunehmen. Soweit die Beklagte anführt, der
Kläger sei im Hinblick auf die Nutzungsausfallentschädigung in einer Höhe von
280,00 € überzahlt‚ kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Beklagte ist den
Erläuterungen in dem klä9erischen Vortrag, demzufolge das Unfallfahrzeug zunächst
nicht verkehrssicher gewesen sei und dem Kläger angesichts des
Gutachtenergebnisses eine Überlegungsfrisf von einigen Tagen zugestanden habe,
nicht mehr entgegengetreten. Insoweit fehlt es insbesondere an konkretem Vortrag
der Beklagten, für welche Zeiträume genau Nutzungsausfallentschädigung, gezahlt
wurde und für welche dieser Zeiträume eine solche nicht geschuldet war. Da die
Beklagte die Nutzungsausfallentschädigung bereits gezahlt hat, wäre es an ihr
gewesen, substantiiert unter Angabe genauer Daten darzulegen, warum es zu einer
Überzahlung des Klägers gekommen ist. Daran fehlt es hier.

5. Im Ergebnis steht dem Kläger damit ein Zahlungsanspruch in Höhe von
weiteren 1.204,11 €‘zu, der sich aus der folgenden Berechnung ergibt:
3.437,29 € Netto-Reparaturkosten .laut Gutachten
— 203,18 € Beilackierungskosten (96,75 € + 106,43 €)
— 80,00€ gezahlt für Ummeldekosten
— 1.950,00€ gezahlt aufTotalschadenbasis
1.204,11 €

6. Der Zinsanspruch ergibt sich aus 55 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf 5 92 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit der
Quotenmethode, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 55 708 Nr. 11,
711 S. 1, S. 2, 709 3.2 ZPO.

Der Streitwert wird bis zum 05.02.2018 auf 1.567,29 €, danach auf 1.407,29 €
festgesetzt.

Rechtsbehelfsbelehrung:
[…]

Dr. Löhr