Keine Verweisung auf “Partnerwerkstätten”

Im Rahmen des sog. aktiven Schadensmanagements versuchen einige Versicherungen, den Geschädigten vorzuschreiben, in welcher Höhe sie Schadensersatz erhalten und wer ihr Fahrzeug reparieren soll. Hierbei wird meistens das sog. “Porsche-Urteil” (BGH vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02) bemüht. Nach diesem BGH-Urteil sollte es eigentlich ausdiskutiert sein, dass der Geschädigte insbesondere die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt erstattet verlangen kann. Unter Zitat dieser Entscheidung wird den Geschädigten gleichwohl die Entschädigung gemäß Sachverständigengutachten verwehrt, weil der BGH angeblich gerade nicht ausgeführt habe, dass die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu ersetzen seien (das ist falsch, in der BGH-Entscheidung ist mehrfach von einer Porsche-Werkstatt als Maßstab die Rede) und außerdem, dass der BGH eine Einschränkung gemacht habe. Der Geschädigte müsse sich auf eine für ihn günstigere und angemessene Möglichkeit der Reparatur verweisen lassen. Seitdem wird versucht, den Geschädigten auf sog. “Partnerwerkstätten” zu verweisen, die mit weit niedrigeren Stundenverrechnungssätzen kalkulieren. Es werden dann in aller Regel nicht markengebundene kleinere Werkstätten genannt, die angeblich zu diesen Preisen arbeiten. Ich führe derzeit gegen die P-Versicherung aus D. einen entsprechenden Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Heinsberg, weil man dies dort auch nicht glauben mag. Aber auch andere Gerichte haben sich wie folgt entschieden:

  • Nach einem Urteil des AG Nürtingen vom 14. Dezember 2006 – 12 C 1392/06 – sind auch bei der fiktiven Reparaturkostenabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde zu legen. Das Gericht bezieht sich hierbei auf die Entscheidung des BGH vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02. Auf andere “Fachwerkstätten”, insbesondere solche die eine Vielzahl von Aufträgen seitens der Versicherungswirtschaft erhalten, müsse sich der Geschädigte nicht verweisen lassen.
  • Eine Verweisung des Geschädigten eines Verkehrsunfalls auf eine andere Fachwerkstatt kommt nicht in Betracht, wenn die günstigeren Verrechnungssätze dieser Fachwerkstatt lediglich das Ergebnis einer besonderen Vereinbarung mit der beklagten Versicherung sind und nicht allen Werkstattkunden offen stehen (Urteil des AG Dortmund vom 28.08.2007, Az. 428 C 1261/07).

Update vom 03.04.2008: Einer der Berufungskammern für den hiesigen Gerichtsbezirk hat sich dieser Auffassung mit deutlichen Worten angeschlossen (LG Aachen, Urteil vom 28.06.2007, Az. 6 S 55/07). Zu Recht schließt sich das LG der Auffassung des BGH an, wonach der Begriff “gleichwertig” so zu verstehen ist, dass grundsätzlich nur markengebundene Vertrags-Werkstätten als generell gleichwertig anzusehen sind.

Update vom 04.04.2008: Das AG Heilbronn, Urteil v. 12.06.2007, Az. 6 C 1476/07 (DV 1/2008, S. 18), lehnt eine Verweisung auf einer Partnerwerkstatt ab, wenn die Benennung erst 1 1/2 Monate nach Übersendung des Gutachtens erfolge. In dem entschiedenen Fall war das Fahrzeug auch schon repariert worden.

Das AG Mannheim, Urteil vom 30.11.2007, Az. 12 C 381/07 (DV 1/2008, S. 20), lässt die Verweisung nicht zu, weil hierdurch fiktive und konkrete Abrechnung vermischt würden.

Update 09.04.2008: In diesem Sinne hat nunmehr auch des OLG München (Urteil vom 28.02.2008, 24 U 618/07) entschieden.

Quelle: Captain-HUK

Update 15.04.2008: Ebenso in diesem Sinne: LG FULDA vom 27.04.2007,1 S 29/07, DAR,2007 697

Update 22.04.2008: RA und FA für Verkehrsrecht Armando Revilla aus Göttingen stellt in dem Beitrag “Stundenverrechnungssätze – eine Interpretation des Porsche-Urteils aus Sicht des Geschädigten” (ZfS 2008, S. 188) eine zutreffende Schilderung vor, wie die Haftpflichtversicherungen versuchen, aus einem Nebensatz der BGH-Entscheidung ihre derzeitige Vorgehensweise zu rechtfertigen. Bemerkenswert ist die Ansicht, die Direktive an den einzelnen Sachbearbeiter wie im Steuerrecht als “Nichtanwendungserlass” zu charakterisieren. Andere haben das bereits als Betrug gewertet…..

Update 30.04.2008: In der zfS 2008, Heft April 2008, S. 188, stellt der Kollege RA unf FA für Verkehrsrecht Armando Revilla die “Stundenverrechnungssätze – eine Interpretation des Porsche-Urteils aus Sicht des Geschädigten” zutreffend dar. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass der BGH in dem Urteil entschieden hat, dass der Geschädigte die Kosten einer markengebunden Fachwerkstatt ersetzt verlangen kann. Der Beitrag ist sehr lesenswert und stellt einen hervorragenden Einstieg in die Problematik dar.

Im gleichen Heft (S. 199) ist die Entscheidung des AG Wuppertal, Urteil vom 11.01.2008, Az. 32 C 197/07, abgedruckt, in der diese Auffassung ebenfalls bestätigt wird.

Update 14.05.2008: Ebenso Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein, Urteil vom 15.04.2008 – Az: 2 a C 312/07.

In der NJW 2008, Heft 19, S. 1349, ist ein differenzierender Aufsatz von RA Dirk Figgener aus Bochum mit dem Titel “Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Schadensabrechnung” veröffentlicht worden.

Update 30.06.2008: Zur aktuellen Entwicklung in unserer Hauptstadt verweise ich auf den Unfall-Blog.

Update 01.07.2008: Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 16.06.2008, Az. I-U 246/07, VA 2008, S. 112) hat sich ebenfalls der Auffassung angeschlossen, dass sich ein Geschädigter nicht auf sog. “zertifizierte Karosserie-Fachbetriebe” verweisen lassen muss. Es seien nicht die mittleren oder noch niedrigere Sätze, sondern die Arbeitslöhne gem. Gutachten maßgebend. Die Verweisung auf billigere Werkstätten gehe fehl, weil die Alternativwerkstätten “nicht in einer für den Kläger nachprüfbaren Weise gleichwertig” seien.

Auch das LG Göttingen hat sich dieser Auffassung angeschlossen (

Urteil vom 04.06.2008, Az. 5 S 5/08).

Update 08.07.2008: Das AG Münster hat in einem Urteil vom 08.02.2008, Az. 59 C 4599/07 (DV 2/2008, S. 68), entschieden, dass sich ein Geschädigter auch nicht auf einen von der “DEKRA” zertifizierten Meisterbetrieb verweisen lassen muss.

Update 20.07.2008: Der Kollege RA Handschumacher hat eine Entscheidung des KG Berlin (v. 30.06.2008, Az. 22 U 13/08) mit folgenden Leitsätzen erwirkt:

1. Der Geschädigte muß sich nicht auf die Möglichkeit einer billigeren Reparatur einer anderen als einer markengebunden Fachwerkstatt verweisen lassen.

2. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit im schadensrechtlichen Sinne liegt auch dann nicht vor, wenn die nicht-markengebundene Fachwerkstatt ein markenversierter Meisterbetrieb ist
und qualitativ gleichwertig wie eine markengebundene Fachwerkstatt die Reparatur durchführen kann. Mit dem Halbsatz „mühelos ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit“ (BGH NjW 2003, 2086 „Porsche-Urteil“) ist daher nicht die Reparatur in einer nicht-markengebundenen Fachwerkstatt gemeint.

3. Ein materieller Feststellungsantrag auf den Ersatz zukünftiger materieller Schäden – insbesondere der Mehrwertsteuer und Nutzungsausfall – ist bei fiktiver Abrechnung zulässig,  sofern der Geschädigte die Absicht hat, die Reparatur durchführen zu lassen.

4. Die Dauer der Prüfungsfrist bei der Regulierung eines Haftpflichtschadens ist von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Mit Rücksicht auf das Beschleunigungsgebot ist bei einem durchschnittlichen Unfallgeschehen mit leichter Körperverletzung eine Prüfungs-frist von 4 Wochen angemessen; ein
Zuwarten bis zur Einsichtnahme in die Ermittlungsakte ist in der Regel nicht zu berücksichtigen.

(Leitsätze vom Verfasser mitgeteilt)

Der Kollege bespricht die Entscheidung in der NJW 2008, S. 2622.

Update vom 23.07.2008: Das OLG Düsseldorf macht in seinem Urteil vom 16.06.2008, Az. I-1 U 246/07, interessante Ausführungen zum “obiter dictum” des BGH im “Porsche-Urteil”, was unter gleichwertiger Reparaturmöglichkeit zu verstehen ist:

“Erachtete man auch die Instandsetzung in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt als eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit im Sinne des vorgenannten obiter dictums, bliebe dem Verteidigungsvorbringen der Beklagten ebenfalls der Erfolg versagt. Denn dieser günstigere Instandsetzungsweg müsste dem Geschädigten ohne Weiteres mühelos als gleichwertige Reparaturmöglichkeit zugänglich sein (BGH NJW 2003, 2086, 2087). Der Geschädigte muss demnach in die Lage versetzt werden, die problemlose Zugänglichkeit sowie insbesondere die Gleichwertigkeit der alternativ vorgeschlagenen Instandsetzung in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt zu überprüfen. Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB darf das Grundanliegen dieser Vorschrift nicht aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (BGH a.a.O.). Zu der Entfaltung einer erheblichen eigenen Überprüfungsinitiative im Hinblick auf die Realisierung einer Reparatur zu den seitens des Schädigers und seiner Haftpflichtversicherung vorgeschlagenen Preisen ist der Geschädigte indes nicht verpflichtet (BGH a.a.O.).

c) Richtig ist deshalb die wertende Betrachtung, dass der pauschale Hinweis auf eine konkrete – kostengünstige – freie Reparaturwerkstatt zur Überprüfung der fachlichen Gleichwertigkeit durch den Geschädigten nicht ausreicht. Zu fordern ist deshalb zumindest, dass der Ersatzpflichtige dem Geschädigten konkrete, die Gleichwertigkeit betreffende Angaben zukommen lässt (vgl. Figgener NJW 2008, 1349, 1352). Maßgeblich sind Kriterien, ob es sich etwa um eine Meisterwerkstatt handelt, ob diese zertifiziert ist, ob dort Originalersatzteile Verwendung finden, über welche Erfahrung man bei der Reparatur von Unfallfahrzeugen verfügt und dergleichen. Eine Eigeninitiative (z.B. in Form einer Internetrecherche) muss der Geschädigte dabei – dies sei noch einmal betont – nicht entwickeln. Das pauschale Bestreiten der Gleichwertigkeit – gegebenenfalls mit dem Hinweis auf eine allgemein größere Kompetenz einer markengebundenen Fachwerkstatt – dürfte allerdings unerheblich sein (vgl. Figgener a.a.O. mit Rechtsprechungsnachweisen). Da die Realisierung der Reparatur für den Geschädigten nicht mit unzumutbaren Unannehmlichkeiten verbunden sein darf, spielt u.a. auch die Entfernung der benannten Verweiswerkstatt zum Wohnort – gegebenenfalls bei einer vergleichenden Betrachtung mit einer markengebundenen Fachwerkstatt – eine Rolle (Figgener a.a.O., 1350).”

7 Kommentare

  1. Wider den Jubel über die Umverteilung zu Lasten der Autofahrer!

    Wenn die Schadensersatzleistung sich der Höhe nach stets an den Preisen des teuersten Anbieters orientieren, wird eben der teuerste Anbieter auf Dauer seine Preise nach oben setzen können. Wenn also Porsche, Opel, VW, BMW, Mercedes und Co. ihren markengebundenen Werkstätten für unfallreparaturen künftig höhere Preise diktieren, sind diese am Markt auch durchsetzbar, weil ja alle markengebundene Werkstätten ein Interesse haben, diese höheren Preise zu berechnen. Den Wettbewerb kleinerer freier Werkstätten brauchen die markengebundenen Werkstätten ja nicht zu fürchten, denn die Gerichte orientieren die Höhe des Erstattungsanspruches nach dem so bejubelten “Porsche-Urteil” eben an den Preisen der jeweils teuersten Anbieter. Die Rechtssprechung erleichtert somit den markengebundenen Werkstätten die Anhebung der Preise.

    Nun meinen zwar viele Jubelblogger mit ihren Anwälten, daß der Nachteil sie nicht treffe, sondern die Kfz-Haftpflichtversicherer. Wenn aber alle Haftpflichtversicherer höhere Entschädigungen zahlen müssen, wird das sehr rasch zu höheren Prämien führen, die alle Autofahrer werden zahlen müssen. So fördert die Rechtssprechung die Umverteilung von den Prämienzahlern, also von allen Autofahrern, an die markengebundenen Werkstätten und die dahinter stehende Autodustrie.

    Würde man statt dessen bei der Schadensregulierung im Einzelfall fragen, ob eine gleichwertige Reparatur nicht auch durch eine qualifizierte freie Werkstatt zu geringeren Preisen ausgeführt werden kann, könnte dies den Wettbewerb zwischen diesen freien Anbietern und den meist konzernabhängigen Markenwerkstätten fördern. Dann hätten auch die markengebundenen Werkstätten nicht so viel Spielraum, mit ihren Preisen für Unfallreparaturen schneller nach oben zu gehen.

    Rechtspolitisch wird dieser Wettbewerb immer wieder gefordert; die “Porsche-Urteil-Rechtssprechung” konterkariert diesen Wettbewerbsgedanken. Und wir alle zahlen.

  2. Die Versicherungen sind “profit”-orientiert. Selbst wenn sie durch die von Ihnen beschriebene Vorgehensweise sparen könnten, würde dies nicht an die Kunden in Form geringerer Prämien weitergegeben werden. So naiv wollen wir mal nicht sein.

    Es gibt sicherlich das eine oder andere Urteil, welches wirtschaftlich keinen Sinn macht. Aber es ist eben geltende Rechtsprechung. Und der vorliegende Beitrag soll darauf aufmerksam machen, mit welchen zweifelhaften Methoden dies zu unterlaufen versucht wird. Der kleine Geschädigte kann sich gegen die geballte Macht eines Versicherungsunternehmens nicht wehren. Wie gut, dass es Gerichte gibt, die diesem Treiben Einhalt gebieten.

  3. Besten Dank erstmal für die treffende Erfassung des Komplexes sowie Auflistung der zusprechenden Entscheidungen. Leider kann ich die zitierte Entscheidung des OLG München (Urteil vom 28.02.2008, 24 U 618/07)mit den angegebenen Daten nicht finden. Der zustänidge Senat für sdas Verkehrszivilrecht ist beim OLG München der 10. Zivilsenat. Für eine Benennung der richtigen Fundstelle wäre ich überaus dankbar, da ich derzeit mehrere Verfahren gegen die munter kürzende HUK Coburg führe (von deren – erfolgreichem! – Ausgang ich gerne berichten werde).

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