Nachfolgend bespreche ich das Urteil des AG Esslingen vom 10.12.2008, Az. 1 C 1436/08. In dem Urteil wird zu fast allen Problemen Stellung genommen, die sich derzeit bei der Geltendmachung von Mietwagenkosten stellen.
Das Urteil kann hier heruntergeladen werden. Es wurde mir von Herrn Rechtsanwalt Andreas Gursch aus Böblingen zur Verfügung gestellt.
Im Ergebnis kommt das Gericht dazu, dem Geschädigten einen Anspruch auf Ersatz der Kosten auf der Basis der “Schwacke-Liste” 2007 zuzusprechen.
1. Zunächst nimmt das Gericht Stellung dazu, dass das Mietwagenunternehmen nach entsprechender Abtretung der Ansprüche klagte. Dies sei keine unerlaubte Rechtsberatung, sondern nur die Verwirklichung einer Sicherheit.
Hinweis: Nach Inkrafttreten des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) dürfte die Argumentation der Versicherungen, es handele sich um eine unerlaubte Rechtsberatung und deswegen sei die Abtretung wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 RBerG gem. § 134 BGB nichtig, hinfällig sein. Gem. § 2 RDG ist die Einziehung einer zu Einziehungszwecken abgetretenen Forderung nur noch dann eine erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung, wenn sie eigenständig erfolgt. Eine Autovermietung betreibt den Forderungseinzug jedoch lediglich als Annex zur Fahrzeugvermietung. Die Fahrzeugvermietung ist die Hauptleistung, die Forderungseinziehung eine untergeordnete und marktübliche, daher zum Tätigkeitsbild gehörende Nebenleistung (vgl. hierzu AG Bonn, Urteil vom 13.11.2008, Az. 2 C 236/08).
2. Zur Höhe der Mietwagenkosten zieht das Gericht die Schwacke-Liste 2007 heran (gewichtetes Mittel mit Zusatzkosten). Es setzt sich hierbei mit dem derzeit erhobenen Einwand auseinander, die sog. “Fraunhofer-Untersuchung” sei vorzugswürdig. Dem folgt das Gericht nicht und zeigt die Mängel auf, unter denen diese Untersuchung leidet:
- – fehlende Neutralität, da vom GDV e.V. beauftragt
- – Unfall aus 2007, Untersuchung bezieht sich auf Frühjahr 2008
- – Schwacke-Liste ist mit dreistelligem PLZ-Schlüssel präziser und eher der subjektbezogenen Schadensbetrachtung näher
Hinweis: Die Zugrundelegung der Schwacke-Liste dürfte der weit überwiegenden Auffassung der Instanzgerichte entsprechen, obwohl einige Oberlandesgerichte sich zurückhaltender äußern. Es darf auf diesen Beitrag hingewiesen werden.
3. Das Gericht geht weiter zutreffend davon aus, dass der Geschädigte nicht gegen seine Pflicht zur Schadensminderung verstoßen habe. Die eintrittspflichtige Haftpflichtversicherung hatte darauf hingewiesen, dass der Geschädigte angeblich für 81,00 € täglich ein Fahrzeug anmieten könne. Das Gericht erachtet diesen Hinweis als unerlaubte Rechtsberatung und wettbewerbswidrig. Der Geschädigte habe seiner Pflicht zur Schadensminderung dadurch entsprochen, dass er das Fahrzeug auf der Basis eines durchschnittlichen Preises angemietet habe.
Hinweis: Sehr häufig verschicken die Haftpflichtversicherer beim Erstzugriff auf den Geschädigten ein Schreiben, in dem verschiedene Fahrzeuge zu Preisen als anmietfähig genannt werden, die gerade einmal dem Nutzungsausfall entsprechen (so der berühmte Porsche Carrera für 99,00 €). Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Mietpreisvorgabe ohne konkreten Hinweis auf das dahinterstehende Mietwagenunternehmen per se unwirksam ist (vgl. hierzu AG Nürnberg, Urteil vom 17.10.2007, Az. 21 C 4837/07). Die Nennung nur eines Preises stellt kein annahmefähiges Angebot dar. Der BGH (z.B. NJW 2000, 800) hat dazu, die Restwertrechtsprechung betreffend, genaue Vorgaben gemacht. Es gibt keine Pflicht des Geschädigten, sich bei der Mietwagenauswahl von der eintrittspflichtigen Versicherung die Hand führen zu lassen. Es gibt insbesondere keine Pflicht, an den Versicherer heranzutreten, um die Frage zu klären, ob es günstige Anmietmöglichkeiten gibt. Eine solche Verpflichtung ist dem Schadenrecht auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht fremd (vgl. hierzu LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 21.11.2007, Az. 8 S 7539/07). Der Geschädigte ist und bleibt „Herr des Restitutionsgeschehens“. Ebensowenig, wie sich der Geschädigte darauf verweisen lassen muss, sein Fahrzeug in irgendeiner Fachwerkstatt nach dem Belieben der zur Regulierung verpflichteten Haftpflichtversicherung reparieren zu lassen („Porsche-Urteil“), ist er nicht verpflichtet, sich zur Geringhaltung des Schadens wegen der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs mit der Versicherung in Verbindung zu setzen (vgl. AG Kerpen, Urteil vom 08.04.2008, Az. 20 C 355/07).
4. Das Gericht nimmt sodann noch Stellung dazu, ob den Geschädigten eine Pflicht zur Marktforschung treffe und verneint diese Frage. Der Geschädigte habe seiner Pflicht zur Schadensminderung dadurch genügt, dass er zum durchschnittlichen Preis angemietet habe. Er habe keine Pflicht, nur zum geringstmöglichen Preis anzumieten.
Hinweis: Diese nachvollziehbare Argumentation ist wichtig, um entsprechenden Einwendungen der Haftpflichtversicherungen zu begegnen, dem Geschädigten sei eine Anmietung z.B. über das Internet zu geringeren Preisen möglich gewesen. Im Rechtsstreit werden dann meistens aktuelle Angebote der großen Mietwagenunternehmen vorgelegt, die man im Internet buchen kann. Diese sind allein deswegen abzulehnen, weil sie zum einem für den Geschädigten in der Regel nicht zugänglich sind (z.B. weil eine Vorbuchungsfrist von 1 Woche zugrundegelegt wird) und auch die ersatzfähigen Nebenkosten nicht berücksichtigen. Der BGH hat jüngst in seinem Urteil vom 14.10.2008, VI ZR 308/07, dem Geschädigten die Beweislast für die Frage aufgebürdet, ob ein günstigeres Angebot zugänglich war oder nicht, wenn er zu einem überhöhten Preis ohne Einholung von Vergleichsangeboten anmietet. Mit dem AG Esslingen kann davon aber keine Rede sein, wenn auf der Basis der Schwacke-Liste angemietet wird.
Hinweis: Eine aktuelle Liste der Gerichtsentscheidungen, die sich gegen die Anwendung der Fraunhofer-Liste entschieden haben, kann man sowohl beim BAV hier herunterladen als auch bei “Captain-Huk” hier.
Update 17.03.2009:
Zur Zeit kursiert eine Stellungnahme, die angeblich offiziellen Charakter haben soll, in fast jedem Mietwagenrechtsstreit. In dieser Stellungnahme wird auf die diversen Kritikpunkte an der Fraunhofer-Untersuchung geantwortet. Inzwischen gibt es auch eine “Stellungnahme zur Stellungnahme Fraunhofer“. Ich habe mir die Mühe gemacht, die jeweiligen Punkte gegenüberzustellen, um die Übersichtlichkeit zu erhöhen.
Die Zusammenfassung kann hier heruntergeladen werden.